MenuMENU

zurück

2024-08-17 11:35:50, Jamal

Kolossalgroteske

„Auf Goethe, den philosophischen Kleinbürger ... den philosophischen Daumenlutscher der Deutschen, der ihre Seelenmarmelade abgefüllt ... und (ihre) Binsen... gebündelt hat.“ Thomas Bernhard

Der im Nachkriegsösterreich aufgewachsende Thomas Bernhard beherrscht die Kunst des Überlebens unter brutalen Bedingungen. Er zeigt Initiative und lenkt die Familie. Eine von Onkel Farald „requirierte“ Wohnung nimmt er wie ein Späher vor allen anderen in Besitz. Er führt seine Leute zur Unterkunft.  

Zitate aus Peter Fabjans „Ein Leben an der Seite von Thomas Bernhard“, Suhrkamp

Sein Halbbruder Peter Fabjan zeichnet das Bild eines stämmigen und trittsicheren Knaben. Bernhard weiß sich zu helfen. In einem Ringkampf setzt er unnötige Härte ein. Der Ältere verkleidet den Jüngeren. Thomas trichtert Peter einen Humorbegriff ein, der von Bösartigkeit kaum zu unterscheiden ist. „Unter Protest und Heulen (wurde Peter) als busenbewehrte Frau maskiert“ und so vorgeführt. Bereits nach den ersten Veröffentlichungen Mitte der 1960er Jahre und der ersten Auszeichnung (Bremer Literaturpreis) erwirbt Bernhard einen heruntergekommenen Hof, der einst als landwirtschaftliche Außenstelle des Frauenklosters Traunkirchen am See genutzt wurde und siebenhundert Jahre in Betrieb blieb. Fabjan erwähnt den steinalten Kultplatzcharakter Traunsteins. Solange er bei Kräften ist, veranlasst Bernhard Bauarbeiten in dem historischen Rahmen. Die voll eingerichtete Küche bleibt konsequent kalt, wie Harald Schmidt irgendwo bemerkt. Schmidt kolportiert den Gazettentitel „Viel Geschirr für keine Gäste“. Der Hausherr habe in einer Inszenierung seinen Alltag untergebracht. 

Fabjan schildert seinen Großvater mütterlicherseits als einen von bäuerlichem Stolz und Eigensinn erfüllten, von Sendungsbewusstsein getragenen und von Selbstzweifeln weitgehend verschont gebliebenen Solitär. Seine Erfolglosigkeit habe der Großvater als Adelsausweis und Dornenkrone getragen.  

Der Enkel bemerkt, dass die zahlreichen Freun-, Frein-, Friembichler in Österreich und Bayern im weitesten Sinn eine Familie bilden, und die Varianten ihren trivialen Grund in Schludrigkeiten der Kirchenbuchführer finden. „Je nach Gehör und Laune des (waltenden) Pfarrers“ kamen die Schreibweisen zustande. Zieht man das in eine Klammer mit den vielen unehelichen Kindern und verwinkelten Kombinationen ... der geschiedene Mann einer Halbschwester wird als Gatte von Bernhards Ururgroßmutter zum Stiefvater der Urgroßmutter ... begreift man, dass Bernhards Tiraden eine Wirklichkeit an- und abgreifen, die so irre ist, dass keine Erfindung ihr das Wasser reichen kann. 

Als Gegenstück lässt sich der Großvater väterlicherseits betrachten. Peter Fábián stammt aus einer Bauernfamilie im ungarischen Kisszékely. Er dient der k.u.k. Armee in Graz, wo er seine künftige Frau kennenlernt. Sie arbeitet als Küchenhilfe im Schloss des Grafen Wimpffen. Mit ihr zieht Peter nach Wien. Dazu morgen mehr.