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2024-08-17 18:01:38, Jamal

Europäischer Irrtum

Die erste koloniale Regel besagte: Weiße schlagen Schwarze. In der Schlacht bei Dogali am 25. und 26. Januar 1887 schlugen Schwarze Weiße. Ein italienisches Expeditionskorps erlag dem abessinischen Heer unter Ras Alula Engida. Die Ausnahme ließ sich Europäern nicht objektiv vermitteln. Zeichnungen in französischen Magazinen zeigten den kaiserlichen Heerführer Menelik II. als Weißen im Strahlenkranz.

Der Schwarze Sieg entfaltete Signalwirkung bis in die Karibik. Es gab das kaiserliche Gelöbnis, eine Kathedrale zu bauen und sie dem heiligen Georg zu widmen. Italienische Kriegsgefangene übernahmen die Bauarbeiten. Wer weiß so etwas?

Die modernen Waffen der Äthiopier stammten aus Italien (und aus Russland). Die Italiener hatten Äthiopien (damals Abessinien) für ein Reservoir der unterwürfigen Hilfsbereitschaft gehalten. Das Land bot ein festgefügtes, christlich-orthodox grundiertes Staatswesen. Ein europäischer Irrtum des 19. Jahrhunderts bestand darin, zu glauben, Jesus in Afrika popularisiert zu haben. Tatsächlich war er da lange vorher angekommen.

In Abessinien war man entweder orthodoxer Christ oder sunnitischer Muslim. Der christlich-jüdische Urtext reicht bis in die Zeit des Alten Testaments, als die mythische Königin von Saba mit dem israelischen König Salomon in Jerusalem tausend Jahre vor Christus den jüdisch-christlich-afrikanischen Motor anwarf und im Beischlafmodus die Dynastie der Meneliks gründete.

Abessinien war nicht nur einer der ältesten christlichen Staaten, sondern einer der ältesten Staaten überhaupt. Er widerlegte die weiße Bekehrungsbigotterie, eine Fake News vergangener Tage.

In die Schlacht von Adua führte - der von europäischen Experten beratene - Kaiser Menelik II. am 1. März 1896 eine landesweit mobilisierte Miliz, die sich selbst versorgte. Mitunter kamen komplette Familien, die Frauen richteten Feldküchen ein und sangen Kampflieder. Sie trieben ihre Männer an, indem sie deren Tapferkeit rühmten. Freiwillige erschienen unbewaffnet auf dem Schlachtfeld, dabei sein war alles. Auf der anderen Seite gab der Tiroler Oreste Baratieri die Befehle. Das Scheitern der Invasion garantierte die äthiopische Unabhängigkeit als eine Sonderform der Regierung im kolonisierten Afrika.

Italien erlebte die Niederlage von Adua als nationale Schande. Der afrikanische Sieg war ein Schock. Im Dunstkreis dieser Ereignisse unternahm der aus Parma gebürtige Offizier Vittorio Bottego (1860 - 1897) seine letzte Afrikareise. Er starb im Kampf, während seine letzten weißen Begleiter Lamberto Vannutelli und (Bottegos Neffe) Carlo Citerni in Gefangenschaft gerieten und später nach Italien zurückkehrten.

Bottegos letzte Expedition bildet den historisch verbürgten Ausgangspunkt des Romans. Eine merkwürdig unkritische, vom Geist des Dekolonisierungsdiskurses unberührte Darstellung, die den „Entdecker“ Bottego heroisiert, untergräbt das Lesevergnügen.

Gianfranco Calligarich, „Wie ein wilder Gott“, Roman, aus dem Italienischen von Karin Krieger, Zsolnay, 24,- 

Die kolonialen Abenteuer des 19. Jahrhunderts waren Zeitreisen zu Anfängen, über deren historische Einordnung gestritten wurde - nur ganz bestimmt nicht mit den Gastgebern. Deren Bedeutung erschöpfte sich darin, Gegenstände von Betrachtungen und Maßnahmen zu sein. Unter günstigen Umständen befanden sie sich in Mündelpositionen.

Vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 konferierten im Reichskanzlerpalais der deutschen Hauptstadt Delegierte aus dreizehn Staaten, die einer Einladung des Reichskanzlers Otto von Bismarck gefolgt waren. Auf der Berliner Konferenz aka West Africa Conference aka Congo Conference legten sie die Kriterien für die völkerrechtliche Anerkennung von Kolonialbesitz fest. Italien nahm an der Versammlung als „wenig geschätztes Aschenputtel“ teil. Das überliefert der Erzähler, „ein gut siebzigjähriger Nichtstuer“. Der pensionierte Präsident der Geographischen Gesellschaft schaut 1933 vom Fenster seiner Villa in Rom auf eine Gartenmauer. An ihr ziehen wie auf einer Leinwand die Bilder sowohl seines eigenen Lebens als auch die des berühmten italienischen Afrikaforschers Vittorio Bottego vorbei.
Bottego hat auf mehreren gewagten Expeditionen das weitgehend unbekannte Abessinien und die Flüsse Juba und Omo entdeckt, auf denen Gold, Marmor und Elfenbein transportiert wurden. Sein Leitspruch war der aller Eroberer: „Zerstören oder zerstört werden.“
Im melancholischen Ton des Beobachters und mit beißender Ironie erzählt der … in Asmara geborene Gianfranco Calligarich von der erschreckend aktuellen Gier nach Reichtum und der Gefährlichkeit von Macht.

Calligarich, geboren 1947 … stammt aus einer Triestiner Familie. Er wuchs in Mailand auf, bevor er nach Rom zog, wo er als Journalist und Drehbuchautor arbeitet. 1994 gründete er das Teatro XX Secolo. 2022 erschien bei Zsolnay sein weltweit übersetzter Roman „Der letzte Sommer in der Stadt“. Aus der Ankündigung

Die 1867 gegründete Società Geografica Italiana residiert seit 1925 in der römischen Villa Celimontana.

Der Erzähler schildert Bottego auch als Teilnehmer jenes Vergeltungsfeldzuges, mit dem die Schmach von Dogali - Schmach aus der kolonialherrlichen Perspektive - getilgt werden sollte. 1890 schifft sich Bottego im Rang eines Oberleutnants in Neapel ein. Der militärische Alltag schlaucht den von visionärem Elan Getriebenem. Bottego will seine Epoche in die Schranken weisen und nicht im soldatischen Kleinklein versauern. Nach seiner Rückkehr wirbt er Mittel für eine Expedition ins Jubaland ein.

Die Gewalt der Sprache - Edward Said hebt den Feldzugcharakter überseeischer Benennungskampagnen hervor. Die christliche Namensgebung richtete sich Kultur vernichtend gegen Kolonisierte auch noch in der Prägung von Landschaftsbegriffen. Höhen und Täler verloren ihre ursprünglichen Bezeichnungen oft an Verballhornungen, in denen sich Spott, Hohn oder Gleichgültigkeit aussprachen.

Nach aktuellen Geografiebegriffen bezeichnet das Jubaland den Südwesten Somalias an der Grenze zu Kenia. Das Gebiet heißt so nach einem Fluss.

Die Erzählung stützt sich auf Bottegos Aufzeichnungen nicht zuletzt. Der „Entdecker“ legte selbst umfänglich Zeugnis ab und war Held von Glorifizierungen.

Vom Fieber zerrüttet, lässt sich Bottego durch den Dschungel tragen. Auf der Suche nach den Quellen des Juba streitet er ausgiebig mit seinem Stellvertreter, einem wohlhabenden Artillerie-Offizier. Matteo Grixoni nimmt die Strapazen in einem unbezahlten Urlaub auf sich, während Bottego einen staatlichen Auftrag erfüllt und folglich soldberechtigt bleibt.

Calligarich lässt kein gutes Haar an Grixoni. Er beschreibt einen schießwütigen Herrenmenschen, der schließlich mit vorgehaltener Waffe „desertiert“. Das Datum ist dokumentiert. Grixoni setzt sich am 15. Februar 1893 ab. Bis zu seinem Tod 1940 erholt er sich nicht mehr von den Folgen seines afrikanischen Abenteuers.

Dem zunächst Glücklicheren erscheint der Juba als „wilder Gott“. Bottego gelangt zu dessen Quellen und folgt dann dem Lauf Richtung Meer. Der Forschungsreisende und seine Entourage rücken skrupellos vor. Sie fräsen sich durch die Landschaft und hinterlassen eine Schneise der Gewalt. Gleichzeitig geriert sich Bottego als rational-umsichtiger Expeditionsleiter, der alle möglichen Exploitationschancen zum Vorteil Italiens erwägt. Zu seinem Team zählt Maurizio Sacchi.

Calligarich charakterisiert den Arzt als bärenstarken und opferfrommen Gefolgsmann. Der 1864 in Sampierdarena in der Provinz Genua geborene Wissenschaftler erfüllt indes ihm offiziell übertragene Aufgaben im Spektrum zwischen Geografie, Botanik und Mineralogie. Im Oktober 1895 übernimmt Sacchi die Führung einer Abteilung, die mit Exponaten, die einer akademischen Auswertung zuzuführen sind, auf dem schnellsten Weg in die Zivilisation zurückkehren soll. Sacchi fällt am 7. Februar 1897 bei einem Scharmützel. Sein Reisetagebuch bleibt der Nachwelt erhalten und dient in Italien der Wissensvermehrung.  

Ferner bemerkenswert ist, dass Bottego die in Gefangenschaft geratenen Kollegen Emilio Dal Seno und Walter Borchardt freikaufen kann. Dreißig Ziegen beziffern die Auslöse.

Bottegos historisch verbürgte Geliebte Cadigia, eine Somalierin, die sich der Karawane anschließt, firmiert im Roman als Batula.