Berliner Gentrifizierungsbourgeoisie
„Die Regierungen wechseln, die Dichter bleiben.“ Isabel Allende
Das Epochenereignis der elisabethanischen Renaissance war die Zerschlagung der Armada. Sie beendete die spanische Vormachtstellung auf den Weltmeeren. Die maritime Suprematie ging über auf das Vereinigte Königreich. Britannia, rule the waves! Kein anderer Vorgang wirkte so stark auf die Zeit, in der Shakespeare wirkte. Trotzdem ist an keiner Werkstelle direkt davon die Rede. Es sind Spiegelungen der Großwetterlagen eines Jahrhunderts, „die das Material eines Schriftstellers bilden“, sagt Heiner Müller. Auch „Viel Lärm um nichts“ schert Sieg und Niederlage über den Epochenkamm. Der dramatische Horizont glüht in der Hitze einer geschlagenen Schlacht. Im Schlepp heimkehrender Sieger beugt sich ein gefangener Renegat. Don John (Juan) ist der Stiefbruder des triumphierenden Don Pedro. Seine Inferiorität steht ihm auf der Stirn geschrieben, sie stand schon in den Sternen vor seiner Geburt. Ihm fehlen ein paar Zentimeter. Später, wenn die Macht zu ihrem Bestand Verbrüderung verlangt, heißt es: „Wir finden schon eine Frau in deiner Größe.“
Die Bildungsprise ziert einen Eintrag im Expeditionstagebuch einer ehemaligen Schulbuchberühmtheit. Die Aufzeichnungen trugen zur Empire-Ikonografie im Abendlicht der Sundowner-Melancholie bei. Britannia rule the waves war eine beinah schon ungültige Losung, als sich die Illusion von neuen Spielräumen für den Polarforscher Sir Ernest Henry Shackleton (1874 - 1922) mit antarktischen Abenteuern verbanden. Shackleton bezog sich in seinen Eintragungen und Ausführungen auf „Eroberer“ des Elisabethanischen Zeitalters, sprich auf Shakespeares Personal.
Hundert Jahre nach Shackletons Tod (an Bord eines Expeditionsschiffes) wohnt eine Nachfahrin noch nicht lange an der Hauptstadtmagistrale eines untergegangenen Landes. Der Makler avisierte die ehemalige Stalin-Allee als Flaniermeile der Berliner Gentrifizierungsbourgeoisie. Die zur Ohnmachtskulisse heruntergekommene, realsozialistische Triumpharchitektur liefert als Beton-Alb dem DDR-Scheitern ein Nachbild.
Die Tristesse passt zu Mercy Shackletons Stimmung. Der nomadischen KI-Expertin droht ein seelischer Dammbruch als Überlebende eines Rosenkriegs. Schuldgefühle rauben ihr den Schlaf. Mit Sprachnachrichten quittierte Anrufannahmeverweigerungen erhöhen den Druck.
Mercy nimmt unerfreuliche Begegnungen in unerfreulicher Imagination vorweg. Sie glaubt, ihr Leben unter den verschärften Bedingungen des eisigsten Wettbewerbs im Griff zu haben. Tatsächlich zahlt sie unter den Vorzeichen des Neoliberalismus den höchsten Preis für Wohlstand und Status. Sie hat ihre bürgerliche Autonomie aufgegeben. Die Unfreiheit reicht so weit, dass sie sich von ihrem Chef Vorschriften machen lässt, die ihr Privatleben betreffen. Noch reagiert sie ausweichend auf Bobs Avancen.
Erinnert sich noch jemand an die Koordinaten der Generation Z? In Douglas Couplands erstem Roman „Generation X“ tauchen sie als Earth Tones auf. Den Eltern der Earth Tones war der amerikanische Traum zum Fetzen geraten.