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2024-08-28 07:02:27, Jamal

Der Hofladen als Geschäftsidee

Unbekümmert fläzten wir uns auf der Veranda der Schillings und hörten das Klirren der Ketten in Waldemar Ferdinands Kuhstall. Am Tor klemmte eine Fleischbank, die zu meinen Lebzeiten gewiss nicht einmal heruntergeklappt worden war. Für ein halbes Reh hatte ich Ferdinands Hinterland am Bach mit der Sense gemäht, nach einer Unterweisung zum Umgang mit Dengelhammer und Wetzstein. Ferdinand zelebrierte die Bearbeitung des Sensenblattes; ergriffen vom pädagogischen Eros. Er hielt Kaninchen in einem Käfigstapel und machte sich einen Spaß daraus, sie hochtrabend anzusprechen.

Der bäurische Kreislauf erschöpfte sich in Redundanz und einer Schwermut der Glieder. Im Augenblick amtierte Ferdinand vor seinem Fernseher. Das Programm flackerte aus dem Panoramafenster eines neuen Anbaus. Die meisten Dorf- und Siedlungs-Mütter und -Väter saßen zu dieser Stunde vor ihrem Fernseher. Nur die örtlichen Versager hielten ihre allabendliche Sitzung in der Trinkhalle im Einkaufszentrum ab. Eigensinnige machten noch in ihren Gärten herum oder tranken in der Vereinsgaststätte unter Aufsicht von Lotte Pohl. Die Ehrgeizigen nutzten das Bürgerhaus, um etwas Gewinnbringendes auszuknobeln. Der Geschichtsverein tagte im Gemeindehaus, in dessen Keller die alten Herren und Damen des Tischtennisvereins trainierten. Neben der Zehntscheune fand das Fußballtraining der Jugendmannschaft im Flutlicht statt. Im Glockenturm der evangelischen Kirche bewunderten christliche Pfadfinderinnen die Luftnummern der Mauersegler.

Ferdinands Misthaufen verströmte seine Aromen. Wie dicht die Häuser zusammenstanden. Im Dorf gab einen alten Hochmut. Solange Kassel Residenzstadt gewesen war, hatte das Dorf zum kurhessischen Hof gehört. Ein im Zweiten Weltkrieg zerlegtes Schlösschen (das den Dreißigjährigen Krieg überlebt hatte) diente dem Landgrafen und seiner Entourage als Herberge auf seinen Jagdausflügen in dem ursprünglich fränkischen Königsforst (Kaufunger Wald/Söhre), der erstmals in einer Urkunde erwähnt wird, die einen Besitz von Karl dem Großen anzeigt. Die Bauern war schließlich so reich, dass sie ihre Söhne aufs Friedrichsgymnasium schicken konnten. Ferdinands Urgroßvater fuhr mit einem größeren Gespann als der letzte Kurfürst auf die sonntägliche Promenade in der Aue. Die Landwirte waren wüste Knochen. Sie hatten satt zu essen gehabt, als nach dem Krieg alle anderen hungerten. Die gegen Wurst eingetauschten Teppiche auf den Hund gekommener Städter hatten sie in ihren Schweineställen ausgelegt.

Simone Schilling gab mir nicht zum ersten Mal zu verstehen, dass sie mehr über mich wusste als ich über sie. Meine Schwester war noch klein genug für den Sandkasten im Garten meiner Großeltern gewesen, als Simone mit ihrer Mutter - einer dramatisch auftretenden Professorin für Stadtplanung - aus Berlin ins Dorf gezogen waren. Margot Schilling regte den Direktverkauf an und animierte die zuerst höchst widerwilligen Erzeuger, auf ihren Höfen pittoreske Verkaufsstellen einzurichten. Widerwillig zollten die Landwirte Margot Respekt. Warm wurden sie nicht mit der Hochgestochenen. Dazu bald mehr.