„Denken Sie: ich habe das ‚Bateau Ivre‘ übersetzt! In drei Tagen und es war ein ganz merkwürdiger Zustand. Und – nun, mein Stolz hält sich im Augenblick in meiner Nähe auf: es ist, auf Deutsch, das Bateau Ivre. Alles ist gewahrt, Wort, Gestimmtheit, Gestalt.“ Paul Celan am 1. August 1957 an Christoph Graf Schwerin, Quelle Planet Lyrik
Außerhalb der Logik
Eine von schweren Prüfungen erschütterte Liebe verband Paul Celan (1920 – 1970), mit der Künstlerin Gisèle Celan-Lestrange (1927 – 1991). Sie vollzog sich im Schatten der großen Nähe zwischen Celan und Ingeborg Bachmann. Sie wurde ferner überschattet von der zunehmenden seelischen Zerrüttung des Lyrikers aus der Bukowina, der erst in den späten vierziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts in Paris einen Ort zum Leben fand.
Paul Celan, Gisele Celan-Lestrange, Die Briefe, Suhrkamp
„Zu leben“ taucht als große Beschwörung immer wieder in den Briefen auf, die Celan an Gisèle Celan-Lestrange schrieb. Das Paar begegnete sich 1951 und heiratet drei Jahre später. Gisèle, Tochter aus gutem Haus, ist von dem Dichter, der sich als Lehrer an der Ecole Supérieur erhält, bis zur Selbstaufgabe eingenommen. Sie wähnt sich in einer Liebe „außerhalb jeder Logik“. Dem Angebeteten konzediert sie:
„Du hast schon eine Lebensblume für mich geschaffen“.
Celan reagiert zunächst aus einer überlegenen Position. Weltmännisch führt er die Angst an, „die immer gegenwärtig ist, wenn sich das Herz gefährlich einmischt“.
Bald nimmt Gisèle sich seiner mit fürsorglichen Absichten an: „Ich möchte dich gegen alle Boshaftigkeiten des Lebens verteidigen“.
Sie teilt Celans Groll auf Claire Goll, die den Dichter des Plagiats bezichtigt und nach seiner Auffassung bei ihm in der Kreide steht. Sie kokettiert mit ihrer Unwissenheit und unterschreibt sich als kleine Pfirsichblüte. Celan strapaziert Gisèle mit Alltagsverweigerungen. Er stellt sich ihr anheim als „Dein kleiner Mann“ und als „Ihr kleiner Poet“. Er schreibt aus Deutschland, wo er Walter Höllerer, Heinrich Böll, Siegfried Unseld und Martin Heidegger trifft. Als „epochal“ überliefert er ein Gespräch mit dem Philosophen im Auto. Seit 1922 residiert Heidegger nach Belieben wetterfest und almselig Auf der Sturmhöhe; so lautet die lauschige Anschrift. Am 25. Juli 1967 besucht ihn da Celan. Das Todtnauberger Treffen geht als „Gipfeltreffen“ (Michel Deguy), „Wallfahrt“ (H.-G. Gadamer) und „Höllenfahrt“ (Jean Bollack) in die Geschichte ein. Celan erträgt Heideggers historische Kaltschnäuzigkeit im Schlepp einer sich auf das Welthöchste berufenden Unschuld. Er erscheint nicht zuletzt als Beweiserbringer dafür, „dass nach (Auschwitz) … Gedichte in deutscher Sprache möglich sind“. So paraphrasiert Hans-Peter Kunisch das Adorno-Wort „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“, dass Hannah Arendt für geschichtslosen Unsinn (Thomas Meyer) hält. Die Philosophin schweigt zu Paul Celan. Im Übrigen gilt Celan in Deutschland nicht viel. Hans Werner Richter verweist Celans Vortragsstil „in die Synagoge und vergleicht (die Sprechweise) mit dem … Singsang von Joseph Goebbels“ (Kunisch). Sein Deutsch schöpft er aus eigenen Quellen. Im Verlauf der 1960er Jahre gerät sein Leben aus den Fugen. Er bedarf psychiatrischer Betreuung. 1965 versucht der Lyriker seine Frau zu töten, 1970 ertränkt er sich in der Seine.