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Sonnenacker hieß ein Flecken nahe der Försterei Fahrenbach, wo Simone eine magische Köhlerklause im Alten Land für uns zu mieten mir riet. Ich war als Zivildienstleistender bei der AWO mit Heimschlaferlaubnis in der glücklichen Lage, die hundertzwanzig Mark Miete der öffentlichen Hand entnehmen zu können. Ich transportierte Simone und ihre Sachen in einem Renault 4 zum Knusperhäuschen. Simone summte im Auto vor sich hin.
Ich holte meine Siebensachen. Simone erwartete mich kiffend im Garten, wir hatten weder Telefon noch Fernseher. Halbrund gesäumt von Bäumen und gekreuzt von einem Bach mit steinigem Ufer lag eine Wiese vor dem Garten. Weiden bogen sich über den Lauf. Eine Buchenkohorte strebte zweireihig zum Bach.
Die offene Seite schob ein Tal vor sich her. Die äußerste Linie bildeten Dächer. Ihnen vorgesetzt war ein Haus, zu klein für einen Aussiedlerhof. Es stand insular auf einem Acker. Vor dem Haus spielten Kinder aufeinander bezogen wie Ausgeschlossene. Vier Hochsitze waren auf der Wiese so angeordnet, dass sich freie Schussbahnen ergaben - Jagdgeometrie.
Simone übersah mit ihren schiefergrauen Augen das Schlachtfeld, so idyllisch wie es da lag. Ihr neues Zuhause hatte Lustschießern als Jagdhütte, Tanzdiele und Absteige gedient. Selbstverständlich waren sie in ihren Daktari-Geländewagen vorgefahren. Solche Leute gingen nicht zu Fuß. Sie versammelten sich niemals in der sonntäglichen Spaziergängerrepublik. Das waren Anwälte, Ärzte, Architekten, die auf Tennis-, Golf- und seit Neustem auf Squash-Plätzen ihr Pensum abrissen. Kein Sport ohne kostspieliges Equipment.
Die Fürsten der Gegenwart begriffen sich als Erben landgräflicher Ansprüche. Der Wald war ihre Domäne. Sie züchteten den Bestand hoch. Riesige Suhlen und zu viele abgeäste Jungbäume bewiesen es.
Luderhaken ragten aus Balken. Ein gemauerter Grill stand im Garten.
Die Vegetarierin Simone ging wie im Traum in ihrem Garten herum, unberührt von den Zeichen einer Parallelgesellschaft. Sie sah den baumstarken Flieder, eine Seltenheit; die bizarr verknorzten Obstbäume, die mich an ein Jethro Tull Cover denken ließ.
Kein Strom aus der Steckdose. Der Regenspeicher war eine Tonne, Marke altes Ölfass. Das Scheißhaus stand fast schon im Wald. Über kurz würden Simone und ich so wie alle unsere Gegenstände nach dem Moder in den Hauswänden riechen. Der natürliche Zugriff war an allen Ecken zu spüren. Man muss ein Dutzend Zivilisationsschichten aufeinander kleben, will man verhindern, dass die Natur nicht sofort hereinschneit.
Im Haus wird Erde zu Dreck.
Simone war zu breit, um sich nicht himmlisch zu fühlen. Ich überließ sie ihrer Seligkeit und fuhr (als Anlieger legal) mit dem Renault auf der Jägerjeepspur über die Wiese. Ich nahm das freistehende Haus ins Fernglasvisier. Ein Asiate turnte auf dem Vorplatz. Noch wusste ich das nicht, da bewegte sich mein zukünftiger Lehrer. Xuan Phan wurde auch für Simone wichtig. In seinem mit Eternit hässlich verkleideten Haus kam das Wasser aus Hähnen. Simone verabredete bald ihren Alltag mit Xuan und seiner Frau Chau. Es gab gemeinsame Fernseh- und Spieleabende sowie kulturell diverse Kochstunden. Simone buk im Küchenwohnzimmer der Vietnamesen Haschisch in Kuchen. Das Ehepaar Phan nahm halbwegs sorglos Drogen. Nur die jungen Verwandten, nicht alle waren Kinder der Eheleute, sollten nichts mitkriegen.
Es wundert gewiss keinen, dass Simone und ich in unserer Sonnenackerzeit ein Paar wurden. Es war für uns beide die erste richtige Beziehung. Jetzt habe ich so viel um den heißen Brei herumerzählt. Ich finde keinen Dreh, den Kern dieser Episode aus meiner Geschichte zu ziehen.
Simone und ich fanden uns okay, das wollte ich die ganze Zeit sagen. Obwohl Simone dem Ideal meiner ausgreifenden Pubertät nicht entsprach. Mit meinen dreißig Kilo zu viel büße ich die jugendliche Hybris.