Am 9. August 1945 ist Nagasaki lediglich ein Ausweichziel. Wäre bei der Mission des Never-regret-Majors Charles W. Sweeneys alles nach Plan verlaufen, trüge Kokura gemeinsam mit Hiroshima die Menetekellast nuklearer Verdammung. Kokura kursiert bald als Synonym für unverschämtes Glück. Der Herrensitz Kokura stammt aus dem frühen 17. Jahrhundert. Zuerst residierte Hosokawa Tadaoki, ein Daimyō der Edo-Epoche, in der Festung. Zur ästhetischen Aufwertung der Militärarchitektur zählt ein opulentes Kirschbaumensemble. Der Garten gehört zu den historisch prominenten Zielen der Blütenpilger.
An einem Frühlingstag im Jahr 1612 duellierte sich Miyamoto Musashi mit Sasaki Kojirō auf Ganryū-jima, einer Insel in Rufweite der Burg. Zur Poesie der Begegnung zählt ein langer Riemen über psychologische Kriegsführung. Musashi, damals ein alter Hase von dreißig Jahren, ließ seinen Gegner warten, das heißt schmoren. Er trat mit einem Holzschwert an, geschnitzt aus einem Ruder. Sasaki kannte man als Meister extralanger Kaltwaffen. Musashis Gegenmittel mochte stumpf sein, es war indes noch länger als Sasakis legendäres Ōdachi Monohoshizao.
Sasaki trat unter dem Nom de Guerre Ganryū auf, bis ihn Musashi mit einem deklassierenden Gegenstand tötete.
Kinetische Skulpturen
Nagasaki war lediglich ein Ausweichziel. Wäre bei der Mission vom 9. August 1945 alles nach Plan verlaufen, hätte Kokura gemeinsam mit Hiroshima die Menetekel-Last nuklearer Verdammung getragen. Kokura ist bis heute ein japanisches Synonym für unverschämtes Glück. Das Nagasaki-Inferno verschmilzt in meiner Erinnerung mit dem Welterklärungsernst der Schwarzweiß-TV-Ära. Hohepriesterlich mahnende Galionsfiguren der Seriosität erklärten in eingängiger Heller als tausend Sonnen-Diktion (so hieß Robert Jungks 1956 erschienenes Standardwerk der Zukunftsforschung), wie furchtbar es sei, dass die Menschheit sich mit Nuklearwaffentechnologie selbst auslöschen konnte. Die Produzenten des atomaren Faustkeils litten angeblich schwer an den Folgen ihrer Genialität. Wie sollte man da den Umstand bewerten, dass der Physiker, Harvard-Absolvent und (damals zukünftiger) Nobelpreisträger Norman Foster Ramsey die für das zweite Ziel bestimmte (als Fat Man deklarierte) Bombe signierte? Experten erläuterten die Ungleichzeitigkeit zwischen menschlichem Bewusstsein und technologischer Entwicklung als die menschliche Krux schlechthin. Mental säßen wir immer noch auf den Bäumen. Das war die Deutung auf dem Hochseil des Anthropozäns. In der bloß epochalen Dimensionierung begriff und pädagogisierte man die nach wie vor singulären Kernwaffeneinsätze als Marken einer großen Zeitenwende. In dieser Rechnung zählte man bis und ab Hiroshima/Nagasaki.
Entgegen der naheliegenden Vorstellung von einer Atombomben-Depression, einem kollektiven Kater, einer, sämtliche Glieder der Siegermacht ergreifenden Scham, gab es in Amerika nach Hiroshima/Nagasaki eine Out-of-the-bottle-Euphorie. Frauen ließen sich ihre Haare in die Form von Atompilzen toupieren. Konditoren kreieren Atompilztorten. Der artifizielle Fungus avancierte zur Signatur und Designvorgabe im Bedeutungszenit. Nie zuvor im 20. Jahrhundert erschienen sich die Vereinigten Staaten großartiger als im Jetzt der konkreten Nachkriegszeit. Der Militärisch-Industrielle-Komplex war eine Sehenswürdigkeit. Das 1951 eingerichtete - am 27. Januar mit einer Parade vor dem ersten Abwurf eingeweihte - Nevada Test Gelände hundert Kilometer nordwestlich von Las Vegas zog Massen touristisch an. Tausende setzten sich freiwillig dem Fallout aus. In der Hochzeit von John Wayne und John Ford lieferte die Gegend idealtypische Hollywood-Westernkulissen. Auch als Science-Fiction-Mars funktionierte die Desert Depression. Radioaktive Partys waren der letzte Schrei. Im Mafia-Eldorado Las Vegas hielt man die Bombe für ein Geschenk des Himmels. Es kursierte eine Art Strahlungsexorzismus. Ein besonders strahlendes Showgirl trat als „Miss A-Bomb“ auf. In einer hoch aufladbaren, ikonografischen, in einem endorheischen Becken gelegenen Gegend namens Jean Dry Lake konservierten sich Voraussetzungen für jüngere Leuchtzeichen der Traumindustrie. Szenen aus Casino, Fear and Loathing in Las Vegas und The Hangover wurden auf dem Landschaftshotspot gedreht; so als führe die Verfolgung bestimmter kultureller Spuren exakt zu dieser Naturmarke. Als gäbe es vor Ort eine ursprüngliche Beschriftung, die zu Komplementärtexten einlädt. Heute wirkt die Land Art Installation Seven Magic Mountains als Signal der extrem ergiebigen Bildfundstelle.