Das Zuchthaus als Manufaktur
Als im 17. Jahrhundert in Brandenburg ein Zuchthaus in Betrieb genommen wurde, war bei der Einweihungsfeier vom Strafrecht nicht die Rede. Sinn der Sache war die Nutzung billiger Arbeitskräfte - das Zuchthaus als Manufaktur. Der Landesherr gab die Ausbeutung der Insassen in private Hände, die Pächter setzten den Sanktionskatalog der Haftordnung zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen ein. Versuchter Selbstmord wurde hart bestraft nicht bloß als Verstoß gegen Gottes Willen. Für kriminell erachtete man die Nachteile für die Unternehmer. Die Zuchthäuser unterschieden sich von Gefängnissen, in denen sich Freiheitsentzug mit Leibesstrafe paarte und der Gefangene in kein ökonomisches Kalkül gezogen wurde. Im Licht der Aufklärung hielt man Gefängnisse für rück- und Zuchthäuser für fortschrittlich. Anregungen aus den evangelischen Niederlanden bewogen den ewigen Regenten Landgraf Karl von Hessen-Cassel zum Bau eines zweistöckigen Zuchthauses als Besserungsanstalt an der Fulda. Im Obergeschoss kasernierte man die Frauen, so sie gegen das Kaffeeverbot - es gab medizinische Einwände gegen Kaffee - verstoßen oder lüderliche Verbrechen verübt hatten. Allen Verurteilten war Pfeifen und Lärmen verboten. Erwartet wurde ein in sich gekehrtes Betragen.
Tabak rauchen war bei guter Führung erlaubt, Tabak kauen unter keinen Umständen.
Armut hielt man für ein medizinisches Problem. Der Siebenjährige Krieg (1756 - 1763) war ein Entwurzelungswerk, das vor allem junge Männer von traditionellen Bindungen trennte. Der Krieg entfremdete die Ausgehobenen ihren Milieus und ließ sie zu den Gewissheiten und dem Ort ihrer Herkunft nicht mehr zurückfinden. Soldaten wurden zu Invaliden und Vagabunden, ein Tross von Witwen und Waisen lebte prekär. Groß war die Zahl unehelicher Kinder. Deren Versorgung fehlte die rechtliche Regelung. Jedes Jahr fanden Hinrichtungen von Kindsmörderinnen statt. Zuchthäuser zählten zu den pädagogischen Einrichtungen, in denen die Aufklärung gespenstisch vorangetrieben wurde. Landgraf Karl ließ jeden sächsischen Landstreicher ausweisen, verelendete Landeskinder unterstanden aber der Obhut eines Prachervogts, der mit Prügel, Spinn- und Stockhaus drohte. Andererseits erfüllte er Funktionen eines Sozialarbeiters. Er diente der Fürsorge, wenn er eine Lüderliche zum Spinnhaus oder einen Müßiggänger nach dem Stockhaus führte. Der Vogt registrierte die Almosenempfänger. Niemand bestritt den Ärmsten den Vorteil hessischer Abstammung. Man konnte noch so verworfen und mit Armutsakne geschlagen sein, als Hesse hatte man Anspruch auf einen Platz in einem Casseler Zuchthaus. Der Vogt strich mit der Armenbüchse um seine Ecken, er klapperte durch Wirtshäuser. Zwei Seelen stritten in seiner Brust. Es gab den merkantil orientierten Protestanten, der in Armut persönliches Versagen erkannte, und es gab den barmherzigen Christen, der Brot und Obdach für ein Menschenrecht hielt. Über allem standen Fragen der Hygiene. Die Vögte wurden in den Hofhandbüchern in den Klassen niedriger Beamter geführt und in der Öffentlichkeit als Polizisten wahrgenommen.