Mecklenburger Marilyn Monroe
Gesine Cresspahl ist Uwe Johnsons Marilyn Monroe im auffliegenden Kleid über dem New Yorker U-Bahnschacht. Die Mecklenburgerin mit dem geraden Herzen betrachtet die Welt mit den Augen ihres Schöpfers. Johnson veredelt sie im Geist des sozialdemokratischen Antifaschismus. Er leiht seiner Gesine jede Menge kleidsame Ansichten. Er macht aus ihr eine Weltbürgerin. So verwandelte der Autor die Not, nicht daheim in Mecklenburg leben zu können, in etwas frühlingshaft Verwehtes.
Johnson wurde am 20. Juli 1934 in Kammin (Pommern), dem heutigen Kamien Pomorski, geboren und starb am 22. oder 23. Februar 1984 in Sheerness-on-Sea. 1945 floh er mit seiner Mutter und seiner Schwester nach Güstrow in Mecklenburg. 1959 siedelte er im Rang eines Suhrkamp-Debütanten in den Westen über. Die Kritik feierte ihn als „Dichter beider Deutschland“. Von 1966 bis 1968 lebte er in New York; so wie dann auch Gesine, die mit ihrer Tochter Marie am Riverside Drive wohnt. Marie wünscht sich, von ihrer Freundin Rebecca Ferwalter zu Yom Kippur gebeten zu werden. Der Erzähler mosert über Gesines Distinktion hinweg: „Bei Ferwalters waren wir noch nie zum Essen eingeladen. … Wir bleiben für sie die Gois.“ Gesine selbst neigt zu diskreten Deutungen fremden Verhaltens. „Die puerto-ricanischen Kinder auf den Kellertreppen sind da nicht beim Spielen, sondern auf dem Weg in Wohnungen.“
Sie konsultiert die New York Times wie eine „alte Tante“. Am 20. Oktober 1967 meldet die NYT polizeiliche Heimsuchungen, die sich Studierende des Brooklyn College gefallen lassen mussten, nachdem sie Marineoffiziere mit ihrer Ablehnung des Vietnamkriegs konfrontiert hatten. Gesine studiert ein Zeitungsfoto, das einen Beamten bei einem robusten Zugriff zeigt.
„Das Foto wäre für eine Fahndung nach ihm geeignet.“
Das Kleid knistert, in dem Gesine eine gute Figur macht, während sie täglich die beste Zeitung der Welt liest. Am 16. November findet der amerikanische Oberbefehlshaber die vietnamesische Lage „sehr ermutigend“. In informierten Kreisen zweifelt niemand daran, dass die Nordvietnamesen an einer Deeskalation kein Interesse haben. Sie erscheinen zwar als (mit amerikanischer Hochtechnologie in die Steinzeit geprügelte) Verlierer, in Wahrheit, so sagt es der Außenminister, erlauben sie aber gar keine Entspannung. Vielmehr erbitten die vermeintlichen Verlierer immer neue zerstörerische Sendungen, um sich dann vor der Weltpresse gelassen zu zeigen - nicht bramarbasierend unbeeindruckt, sondern irritierend entspannt.
Ihr habt die Uhren, wir haben die Zeit.
Sie wollen, dass die Vereinigten Staaten ihr Engagement unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten neu bedenken und in der Unterstützung eines korrupten Regimes bald keinen Nutzen mehr erkennen.
Entweder lächeln sie wie Auferstandene in die Kameras; oder sie zeigen, was der Feind angerichtet hat. Sie wissen, wie lächerlich es in den Ohren der Weltöffentlichkeit klingt, wenn der US-Präsident sagt: Sie lassen uns nicht aufhören, sie zu bombardieren.