Vernichtet
Die Schauspielerin Fanny Goldmann fühlt sich vernichtet. Das ist ihr Zustand ohne Ausweg. Da hilft keine Psychologie und nicht die von Gleichgültigkeit gesicherte Rücksicht der Vielen. Die Rücksichtslosigkeit eines Einzelnen überschattet jeden Trost. Der Einzelne heißt in dem Fragment gebliebenen Roman Marek, er schlich sich als drastischer Liebhaber in das Leben einer für Hörigkeit Empfänglichen. Er meldet der Welt den kalbenden Morgengeruch und die welke Haut der Frau. Er macht Prosa aus der Person, die ihm so und so erschien, jedenfalls anders, als sie ihm erscheinen wollte. Trotzdem soll dieser Anton Toni Marek zurückkommen, wenigstens in Momenten. Fanny stellt ihn sich auf einer Wallfahrt nach Canossa vor, wo sie ihren „Schlächter“ mit gemischten Gefühlen erwartet. Sie erfindet sich eine Macht, die ihr Marek gefesselt und verdroschen zuführt. Sie erschießt sich vor seinen Augen, um ihn zu interessieren.
Ingeborg Bachmann, „Das Buch Goldmann“, Suhrkamp/Piper, 461 Seiten, 36,-
Als Furie versagt Fanny. Jeder Bachmann-Kosmonaut kennt die Geschichte im Mantel des wiederholten Liebesscheiterns. 1958 begegnet die Schriftstellerin dem älteren Kollegen Max Frisch, den sie zunächst nur bewundert, der dann aber Paul Celan in der Rolle des Geliebten folgt. 1963 endet das Verhältnis. Die Trennung legalisiert eine frische Verbindung des Schriftstellers. Frisch beteiligt Bachmann am neuen Glück. Er verlangt geradezu ihr Einverständnis. Seine Beschreibungen der Verlassenen in „Mein Name sei Gantenbein“ erleidet Bachmann als Entblößung, obwohl ihre tätige Aufmerksamkeit das Manuskript bis zur Publikationsreife begleitete. Bachmann sperrt sich im Schweigen. Sie wehrt sich mit Vergeltungsprosa. Das nicht fertig gewordene „Buch Goldmann“ befestigt eine Verteidigungslinie. Bachmann bleibt in ihrem Verhau Opfer und Objekt (patriarchalischer Grausamkeit). Sie zeigt Fanny frei drehend im falschen Azorenhoch von mother’s little helper. Fanny putzt die Kacheln der Verzweiflung morgens um fünf, sie versichert sich der glänzenden Aussichten eines Lebensabbruchs. Sie fürchtet ihre Verwandlung in eine Arabeske. Sie denkt ihre Gebärmutter mit ihrem Stuhlgang zusammen. Sie hasst ihre Scheide, den Ausfluss, die Gerüche.
Nabelschnurstrangulationen. Dammrisse. Brockhaus-Exerzitien: Fanny bleibt sich in keiner Hinsicht erspart. Sie erträumt einen Bruder, mit dem Inzest zur Verschmelzung führt.
Ingeborg Bachmann hielt den Frieden nur für ein Echo des Krieges. Frischs Indiskretionen riefen ältere Traumatisierungen auf. Die Düpierte büßte ihre Empfänglichkeit in einer Produktionslücke bis zum Tod und fand doch wieder und wieder die Kraft, die eigene Position im Geschlechterkampf zu veredeln. Ihre splitternden Ichs sind epochale Porzellandamen. Eine gerät an einen diabolischen Psychiater, der sie zum Selbstmord anstiftet. In „Requiem für Fanny Goldmann“ trifft sich die schönste Frau einer Hauptstadt mit einem miserablen Schriftsteller, der sie für eine Jüngere verlässt und wie im Vorübergehen Verrat übt, indem er die Jahrhunderterscheinung „ausschlachtet“. Fanny wuchs heran als Offizierstochter und Klosterschülerin, gewöhnt daran, im Hemd zu baden. Den Krieg ignorierte sie so weit in „einer Art Dornröschenschlaf“. Bald mehr.