Die Romy Schneider der Literatur
Ingeborg Bachmann ist die Romy Schneider der Literatur. Schneiders Spiel mit Michel Piccoli löscht Karlheinz Böhm aus. Die Verwandlung von Sissi in eine von Sehnsucht Ausgehöhlte geht dramatisch über die Bühne. Gemessen an den Margen des Literaturbetriebs absolviert Bachmann eine kongeniale Karriere auf den Feldern der Anerkennung und der bedeutenden Männer so wie in den von psychischen Einbrüchen verheerten Kellern der versuchten Selbstmorde. Beide Ikonen zerreißt die Spannung zwischen gewöhnlichen Bedürfnissen und außergewöhnlichen Fähigkeiten. Beide sind schließlich Gezeichnete. Alkohol- und Medikamentenmissbrauch schenkt dem Unglück Jahrhundertgesichter.
Für gefährlich hält sie das Bad in der Menge des Kulturbetriebs. Man müsse für sich bleiben. Das postuliert die 1921 geborene Ilse Aichinger 1949. Sie überragt ihre Generation und firmiert als wichtigste österreichische Autorin der unmittelbarsten Nachkriegsgegenwart. Aichinger nimmt die fünf Jahre jüngere, zu ihr aufschauende Ingeborg Bachmann unter die Fittiche. Sie bestimmt Bachmann zum „dritten Zwilling“ in einer Union mit ihrer Schwester Helga. Aichinger sorgt sich um Bachmanns lyrisches Debüt „Die gestundete Zeit“. Es erscheint „1953 in der von Alfred Andersch herausgegebenen Buchreihe Studio Frankfurt bei der Frankfurter Verlagsanstalt“ (Wikipedia).
Ingeborg Bachmann, Ilse Aichinger, Günter Eich: „halten wir einander fest und halten wir alles fest!“, Briefe, herausgegeben von Irene Fußl und Roland Berbig, mit einem Vorwort von Hans Höller, Salzburger Bachmann-Edition Suhrkamp, 40,-
Der Ton ist innig. Es herrscht Hochstimmung. Jederzeit dringend bleibt die Verbindung über ihre Keimzeit hinaus. Trotzdem fehlt manchmal „die richtige Ruhe“ zum Schreiben. Am 20. Mai 1951 nimmt Aichinger vorlieb mit einem „lächerlichen Kouvert“, da sie nichts anderes zur Hand hat, um dem starken Verlangen zu genügen, „Ingelein“ zu schreiben. Dies geschieht in einem Zuhause, das in Anführungszeichen steht. Im selben Monat begegnet Ilse Aichinger Günter Eich bei einer Tagung der Gruppe 47. Man weiß nicht, wie wohl sich Aichinger unter den alternden Hitlerjungen und Knobelbecherveteranen der Gruppe 47 fühlte. Aichinger adelt Eich. Dessen Legende von der inneren Emigration bleibt weitgehend unbeanstandet. Eich stellte 1933 als Märzgefallener einen Aufnahmeantrag in die NSDAP und unterfiel dem Aufnahmestopp. Hans Werner Richter vergleicht Paul Celans Vortragsweise mit dem „Singsang … in der Synagoge.“
Antisemitismus bricht durch. Adorno erklärt die Virulenz des Faschismus mit einer paradoxen Reaktion. Deklassierte und von Deklassierung bedrohte Schichten mit einem bürgerlichen Selbstverständnis verweigern die Ablehnung jener kapitalistischen Kräfte, die sie bedrohen. Stattdessen suchen sie da ihre Feinde, wo ein Widerstand gegen den Kapitalismus Gestalt annimmt. Im Restaurationsklima der Adenauer-Ära sucht Aichinger vor allem Abstand. Gleichzeitig wirken Aichinger und Eich als Galionsfiguren der verfeinerten Trümmerliteratur, die in der rheinisch-katholischen Heinrich-Böll-Ästhetik ihre Ikonografie findet.