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2024-10-13 17:18:32, Jamal

In den späten 1940er Jahren trudelt Valeska Gert via Paris, Zürich und Berlin nach Kampen. Die Re-Emigrantin eröffnet 1949 in Wilmersdorf das Kabarett Hexenküche. Zwei Jahre später erwirbt sie in Kampen eine Ausschankerlaubnis. Den Ziegenstall bewirtschaftet sie zunächst ohne Kühlschrank. Den „Ziegenflipp“ serviert sie in der Nuckelflasche.

„An einer Wand prangt der Satz: ‚Die Gäste sind wie Ziegen - sie werden gemolken und meckern.‘ … ‚Viele Gäste empfinden es hier als unordentlich. Dabei wissen sie gar nicht, wie viel Mühe es uns jeden Tag macht, diese Unordnung herzustellen‘.“ Quelle

Berliner Moderne

Sie absolviert den Ausbildungsparcours für höhere Töchter im Widerspruch zu den Begriffen der Zeit. Ihr Herz ist ein oppositionelles Organ. Man findet sie „herrschsüchtig“ und sprunghaft. Valeska Gert (1892 - 1978) strebt zum Tanz. Sie folgt einem Rat und wird Schülerin von Maria Moissi. Früh entwickelt sie ein „altersloses Körpergefühl: ‚Ich verlor meine Starrheit und wurde jung‘“. Ferner bildet sie sich nach den Vorstellungen der Tanzlehrerin Rita Sacchetto (1880–1959), die in gründerzeitlicher Grunewald-Prächtigkeit eine Ballettschule für Eliteelevinnen betreibt.

Siegfried Müller, „Valeska Gert. Von Berlin bis Kampen auf Sylt“, Hentrich & Hentrich

1916 debütiert sie mit einem Engagement an den Münchner Kammerspielen. Im letzten Kriegsjahr tritt sie unter Max Reinhardt am Deutschen Theater auf. In der Weimarer Republik übernimmt sie Filmrollen und bespielt solistisch die hauptstädtische Kabarettszene. Valeska Gert tanzt Zustände von der Nervosität bis zum Orgasmus. Eine Pantomime heißt „Boxen“ und reagiert auf ein gesellschaftliches Fieber. Wer Rang und Namen hat in der Berliner Republik der 1920er Jahre, zeigt sich am Ring.

Auch wenn der Expressionismus sie prägt, Valeska Gert nennt ihn ihr „einziges Verständigungsmittel“, erkennen manche in ihr eine Ikone der Neuen Sachlichkeit. Ihre Erscheinung zählt zu den Signets der Berliner Moderne. Es geht um weibliche Ermächtigungen. Zunehmende soziale Bewegungsfreiheit und ihre Reflexe in Kunst und Mode liefern Valeska Gert Steilvorlagen. Auch der Fitness-Flow spielt eine Rolle. Valeska Gert beteiligt sich nicht an den Kokain-Eskapaden der hauptstädtischen Demi-Monde.

Dem Publikum begegnet sie als Schrittmacherin der Zukunft. Konsequent verweigert sie sich der gymnastischen Konfektionsware elastischer Bubikopf-Erotik. Nichts von der Stange kommt in ihre Kunsttüte.

Sie erklärt sich. Ihre Art zu tanzen „könne man nicht lernen“. In einem Interview charakterisiert Valeska Gert ihren Stil als „realistische Halluzinationen“. Ende der 1920er Jahre verknappt sich das Angebot der Auftrittsmöglichkeiten unter antisemitischen Vorzeichen. Viele retten sich in die „belanglose Harmlosigkeit“. 1932 gründet Valeska Gert ihr eigenes Kabarett, den „Kohlkopp“ in der Budapester Straße im Berliner Bezirk Charlottenburg. Sie beweist eine Liebe zur spartanischen Improvisation vor Nosferatu-Kulissen. Die Künstlerin schätzt die kleine Form. Sie entspricht der „extremen Verkörperung dessen, was die Nazis hassen“ (Axel von Ambesser). Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung versiegen sämtliche Einkommensquellen. Valeska Gert geht eine Zweckehe ein, um einen britischen Pass zu ergatten. Sie exiliert nach London, bevor sie 1939 in die Vereinigten Staaten emigriert. In New York erreicht ihre Karriere zunächst einen Tiefpunkt. Sie schlägt sich als Tellerwäscherin und Aktmodell durch. 1941 zieht sie im Herzen von Manhattan die Beggar Bar in der Morton Street, Ecke Bleecker Street auf. Die Greenwich Village-Adresse ist legendär.