Der Lustritter
Wir kennen uns inzwischen gut. Wir sind informiert über die Vorlieben unserer Lieblinge. Persephone liebt es - exquisit gekleidet und in einer Aura teurer Düfte - in Literatur zu baden. Die Rostocker Professorentochter ist eine Überfliegerin - ein akademischer Kongressstar. Ihr ist es zu verdanken, dass wir die vermeintliche Urmutter aller Dominas - Aurora-Wanda von Sacher-Masoch – mit modernen Augen sehen. Koryphäen berufen sich auf Persephone. Sie wird ständig in wissenschaftlichen Publikationen zitiert. Sie schwebt über den Dingen.
Aus den Notizen von Persephone - 1877 kehren die Sacher-Masochs nach Graz zurück. Aurora verbindet keine Sentimentalitäten mit den Schauplätzen einer kommoden Kindheit und prekären Jugend (als Tochter einer mittellos-Geschiedenen). Leopold kennt Graz seit seiner Studienzeit. Die Verhältnisse des Künstlers als junger Kosmopolit waren in der steierischen Landeshauptstadt schlankweg behaglich, aber nicht sorglos. Ein großer Name ohne Vermögen im Verein mit Gleichgültigkeit für die materielle Welt, einer Neigung zur Indiskretion und einem widerborstigen Beharren auf unpopuläre Standpunkte ergaben ein verwirrendes Muster.
Leopolds Existenz vollzieht sich vulkanisch wie an einer plattentektonischen Kontinentalgrenze. Koryphäen konsultieren den Schreibritter. Die Herausforderer der Epoche korrespondieren mit dem Phantasten. Politische Haudegen von Format duzen sich gemütlich mit Leopold. Mitunter gastieren sie an seinem Küchentisch. Sie halten den Hausherrn für einen Motor der bürgerlichen Emanzipation.
Leopold entwischt ständig dem Ernst der Lage. Er ringt mit Matronen aus dem Volk, die von hochgestellten Persönlichkeiten nichts anderes erwarten als unbegreifliches Verhalten. Stundenlang diskutiert Leopold mit Aurora seine Obsessionen. Die Ehefrau fürchtet ehrlos zu werden, wenn sie sich Liebhaber nimmt, so wie Leopold es verlangt. Er übergeht ihre Befürchtungen. Er drängt.
Raffinierte Grausamkeit - Der Gatte gibt ein Inserat auf. Eine schöne junge Frau wünscht demnach einen „energischen Mann“ kennenzulernen.
„Als Antwort darauf kam ein Brief von einem Grafen Attems - welchem, weiß ich nicht, es gibt ihrer ja so viele in Graz. Ich musste ihm ein Rendezvous geben, und zwar in dem zu dem Pachthof, in dem wir wohnten, gehörigen Wald; denn mein Mann wollte uns dort versteckt beobachten, um die Qualen der Eifersucht zu empfinden. Ich fand den Grafen an der bezeichneten Stelle ...“
Seelische Insolvenz - Aurora trifft einen kleinen, wenig energisch wirkenden Patron; eine lächerliche Erscheinung mit „verwaschenem Gesicht und … pappiger Sprache“.
Graf Depp stolpert über die eigenen Füße zum Schaden seiner Hose und seines Monokels.
„Ich hätte ihn am liebsten gleich wieder dahingeschickt, woher er gekommen.“
Den Freier überschüttet Aurora mit Spott. Sie bewegt sich auf einem Grat zwischen falscher Einfühlung und echter Unverschämtheit. Sie macht sich ein Fest daraus, die seelischen Insolvenz des Grafen zu entlarven. So ergibt sich eine Konversation zur hellen Freude des Voyeurs, wie er im Gebüsch lauscht. Leopold muss förmlich an sich halten, um seiner Frau und ihrer Finesse in seinem Versteck nicht zu applaudieren. Er lobt sich über den grünen Klee bei der anschließenden Manöverkritik. Sie dämpft seine Euphorie:
„Ja, was meinst du, wenn ich dir diesen angetrottelten Grafen zum Gebieter geben würde? Das wäre eine raffinierte Grausamkeit, die du dir gewiss nicht hast träumen lassen.“
Zu den Standardvarianten des falschen Lebens (siehe Adorno: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“) zählen Fehlgriffe am Liebesbarren - erotische Abstürze erst in den Jahren der uferlosen Adoleszenz und dann auf den engen Vorhöfen der Vergreisung.
Persephone verlängert die Episode in einer erotischen Phantasie. Darin erscheint Leopold so stattlich wie ein echter Ritter. Um ihm zu gefallen, empfängt sie einen jungen Mann, der sich zu benehmen weiß. Sie ist dabei, unter der Aufsicht ihres Mannes Sex mit einem Fremden zu haben. Leopolds Begierde soll durch das natürliche Feuer des Gastes angefacht werden, der nichts anderes tut, als seiner Natur auf manierliche Weise zu gehorchen.
Persephone beamt sich ins Sprachschloss. Ein Licht wie von illuminiertem Bernstein umgibt sie. Sie bewegt sich auf spiegelndem Marmor. Sie schlüpft aus einer Zobelpelzjacke und lässt das Stück von ihrem perfekten Körper abgleiten. Sie genießt die Bewunderung ihres Mannes und die ungeduldige Gier des Gastes - eines wohlerzogenen Germanisten namens Glenn.
Leopold ermutigt Glenn mit einer Geste. Der Gast schlüpft mit verblüffendem Selbstvertrauen in die Rolle des Griechen. Vielleicht erinnern Sie sich. Aurora-Wandas Ehemann vermutete einst einen Griechen, er könne der perfekte Liebhaber seiner Frau in einem Cockold-Spiel sein. Seitdem bezeichnet der Grieche im erotischen Vokabular des Lustritters einen resoluten, unter Umständen auch herrschsüchtigen Liebhaber. Leopold erwartet von Aurora-Wanda, dass sie sich dem Griechen unterwirft und dem gedemütigten Zuschauer gegenüber verächtliche Herrschsucht zeigt. Da er als Regisseur alles bestimmt, kommt das Arrangement über eine Travestie nicht hinaus.