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2024-10-28 14:00:11, Jamal

„In unseren Zellen herrscht der Glaube vor, wir seien noch in der Steinzeit.“ Yael Adler

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Das Wesentliche im Universum ist nicht das Organische, sondern die Information.  Heiner Müller

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„Der wichtigste Gebrauchsgegenstand, den ich kenne, ist die Information.“ Gordon Gekko 

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“A body is a survival machine for the information that it contains.”  Richard Dawkins

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„Wir sind Überlebensmaschinen - Roboter, blind, programmiert zur Erhaltung der selbstsüchtigen Moleküle, die Gene genannt werden.“ Richard Dawkins

Kosmischer Lockstoff

Aurora R., die als Wanda von Sacher-Masoch berühmt wurde, erzählt in ihren Memoiren die Geschichte einer Deklassierung. Auroras Vater stammt aus einer bedeutenden Stuttgarter Familie. Seine Aufgaben als Militärbeamter erfüllt er so mustergültig, dass ihn sein Vorgesetzter, namentlich Prinz Alexander von Württemberg, seines Zeichens Kommandierender in Graz, privilegiert. Aurora schreibt, ihr Vater habe in dem Prinzen einen „warmen Gönner gefunden, der ihn seines militärischen Dienstes fast ganz enthob und eine Art Intendanten seines Hauses aus ihm machte". Nach Alexanders Abberufung bleibt sein Untergebener in Graz. Bald kommt es zu einem Ehezerwürfnis in Auroras Elternhaus. Die Tochter ertappt ihren Vater beim Tête-à-Tête mit einer Sexarbeiterin.

Persephone entzieht sich auf einer eskapistischen Gedankenspur der akademischen Ernsthaftigkeit. Sie sucht einen erotischen Mehrwert in der Szene. Der von pompösen Ehrbegriffen hochgehaltene Vater, die Dirne in einem fadenscheinigen Pelz. Alles gehorcht der Not. Die Lust ist keinen Groschen wert.

Persephone trägt ein einseitig schulterfreies Minikleid aus schwarzer Stretch Jersey von Balenciaga. Sie fotografiert sich ... die Klosterschülerin Aurora ekelt sich vor dem schwülen Interesse der Beichtväter an ihren Sünden. Sie durchschaut die lüsterne Grundierung serieller Absolutionen. Die Bigotterie würde sie weniger stören, wären die Geistlichen ansehnlicher. Aurora träumt von einem schönen Mann in der Rolle des Ablass-Matadors. Die Schülerin interessiert sich für den gesellschaftlich umtriebigen Leopold von Sacher-Masoch. Der Sohn des Grazer Polizeichefs besitzt auf den ersten Blick sämtliche Vorzüge eines Junggesellen. Ihn zieren eine blendende Herkunft und ein solides Vermögen. Dazu kommt persönlicher Erfolg als akademischer und belletristischer Schriftsteller und eine verheißungsvoll große Bugwelle. Der Mann überstrahlt seine Umgebung. Aurora begleitet den Abstieg ihrer Mutter als mittellos-geschiedener Frau. Das Elend schließt sie in die Arme. Aurora wird zur Beute für die leichte Muse von Klatsch und Tratsch. Sie verfängt sich in den Fallstrecken einer vorgeblichen Freundin, die wir Frau F. nennen wollen. Frau F. war früher schön und hält sich immer noch dafür. Aurora versteht den Trugschluss. Sie ist längst alt genug, um zwischen Esprit und Verstand unterscheiden zu können. Manche Leute sind ungemein geistvoll, aber von jedem praktischen Nutzen ihrer Intelligenz abgeschnitten.

Sunzi sagt: „Man kann wissen, wie man siegt, ohne fähig zu sein, es zu tun.“

Frau F. bewegt sich auf einer schiefen Bahn. Sie applaudiert sich selbst und verlacht die Konventionen. Von Aurora lässt sie sich katholisch unterweisen. Sie geht zur Beichte, prahlt mit Sünden und lacht sich hinterher schlapp. „Sie muss sich die Hüfte halten", schreibt Aurora, wenig begeistert von dem Gebrauch, den Frau F. von einem vertrauensvollen Umgang mit der Arglosen macht. Endlich beginnt die Mutwillige eine Korrespondenz mit dem stadtbekannten Ritter Leopold. Da jener seine sexuellen Präferenzen literarisch preisgibt, weiß Frau F., wie sie ihn zu fassen kriegt. Sie macht den bekennenden Masochisten (noch gibt es das Wort nicht) heiß und amüsiert sich über dessen schriftlichen Sublimierungen. L. geht vollkommen ungeschützt vor. Er gibt sich eine Blöße nach der nächsten. Und doch ist es Frau F., die schließlich ihren Ruf in Gefahr sieht; während Aurora für kleines Geld Soldatenwäsche flickt. Die Nähmamsell versteht es indes, als herkunftssouveräne Inhaberin bürgerlicher Spielräume aufzutreten. Solche Scharaden faszinieren. Die Heldinnen riskieren einiges beim Gesellschaftsspiel. Sie geben sich nicht leicht geschlagen. Ihre engen wirtschaftlichen Verhältnisse sind das eine. Das andere ist ihr Witz.

Verspielte Grausamkeit

Der eher untüchtige, seinem Wesen nach feuilletonistische Leopold von Sacher-Masoch liebt den Casinoton im Habsburger Empire Stil. Er pendelt zwischen halluzinierten Passagen, stupidem Schreibfleiß und erotischen Schmetterbällen. Süffiger Schmiss. Bellizistische Bonmots. Eine martialische Manier, und jede Menge Zinnsoldaten; jedes Regiment, ein aus dem Silbersee der endlosen Kindheit geborgener Schatz.

„Unter den Sachen, die mein Mann von seinem Vater mitgebracht, befanden sich einige Kisten, die seine Armeen enthielten. Die beiden Brüder hatten als Knaben leidenschaftlich Soldaten gespielt; die Freude an diesem Spiel wuchs mit ihnen groß.“

Aurora sortiert mit dem Vater ihrer Kinder die Komponenten von Spielzeugbataillonen. Das ist eine Beschäftigung, auf die dann auch sie den größten Ernst verwendet. Mit echten Soldaten spielt Ritter Leopold Billard. Aurora begleitet ihn ins Billardlokal (vor der nächsten Kaserne). Die Offiziere in Leopolds Dunstkreis überbieten sich darin, das Spiel der Frau zu verbessern. Sie charmieren die allenfalls beinah Bürgerliche und zupfen an den Schicklichkeitssäumen. Der Billardtisch lädt zu Schlangenbewegungen ein.

In der Kaserne und darüber hinaus kursieren Einlassungen zur leiblichen Vorzüglichkeit der Frau von Sacher-Masoch. Aurora bekommt davon Wind und reguliert ihre Verhältnisse, indem sie nicht mehr mitspielt. Ihr Pragmatismus besitzt die Effizienz eines Gleitmittels aus dem Themenkreis der Dissimulation. Stets findet Aurora quicke Lösungen für Miseren.

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Simone betritt das Büro von Persephone, ohne anzuklopfen. Sie behauptet eine zunehmend begründungslosere Überlegenheit. Inzwischen ist Persephone ein akademischer Star, eine Person des öffentlichen Lebens zumindest in Hessen. Bizarr unumstritten in der Ära der Hashtag-Battles. Sie könnte an einer renommierten Metropolen-Universität lehren, zieht es aber vor, in der provinziellen Idylle zu bleiben, in die sie Simone gelockt hat.

Vielleicht erinnern Sie sich. Die aus Rostock gebürtige Professorentochter Persephone von Pechstein traf Simone Walther und ihren Partner Cornelius Blattschneider, Dekan des Germanistischen und Englischen Seminars der Landgraf-Philipp-Hochschule in Ederthal, zum ersten Mal bei einer Honoratiorenorgie im Hamburger Equinox-Club. Damals war der Sprachmeister noch ein hyperviriler Liebhaber, der vor Selbstbewusstsein strotzte.

Das schillernde Paar war von Persephone so angetan, dass es gemeinsam um die berückende Schönheit warb und sie schließlich dazu verleitete, sich ihren Studien an der Landgraf Philipp Universität zu widmen. Im täglichen Umgang verlor Cornelius seine hypertrophe Aura. Simones unkontrollierbare Herrschsucht und ihr sexueller Aktivismus (manische Sexualität) perforierten ihre glänzende Seite. Trotzdem verkehrt Persephone immer noch mit beiden. Ihr spröder Liebreiz und ein Touch von Unberührbarkeit verblenden eine Not, die sie mit Simone und Cornelius teilt. Jede Unterbrechung der sexuellen Spannung gleicht einem Strömungsabriss, der alles gefährdet.

Simone streift den Rock über ihre gewachsten Schenkel und zieht den String zur Seite. Persephone registriert die aphrodisierende Wirkung ihres Dufts. Sie steigert das Erlebnis mit einer Manifestation. Darin spielt Goya die Hauptrolle. Dies geschieht aus einem unklaren Impuls. Würde man sie dazu befragen und so zum Reflexion anregen, würde Persephone die Wahrheit verschweigen, aber sie wäre sich sicher, dass alles seinen tiefsten Grund in ihrem Verlangen hat. Persephone will es so; so fühlt es sich an. Tatsächlich wird sie von der nordhessischen Supermacht, die sich in Professor Goya materialisiert, wie eine Marionette bewegt.

Der unsterbliche CC genießt die lässige Verkörperung eines Intellektuellen, der die Ruhe einer Auenlandschaft dem Trubel der Metropole vorzieht. Seine Zegna-Hemdjacke aus Merinowolle kostet fast 7500 Euro. Seine Loafers sind Londoner Handarbeit. Sein Unterhemd war dreimal so teuer wie ein Easy Jet Wochenendtrip nach Lissabon.

In der akademischen Welt gibt es keinen Menschen, der sich noch exquisiter kleidet als Goya. Aber Goya ist ja auch kein Mensch. Der Halbgott erscheint als reich geborener Exzentriker und zugleich als Koryphäe. Sein Parfüm gibt es auf Erden nicht zu kaufen. Es enthält einen kosmischen Lockstoff.

Sein Bewegungsbild ist frei von degenerativen Merkmalen, obwohl er sich als Leistungssportler im Ringkampf olympisch verausgabt hat.

Persephone fällt ein, wie Goya vor ein paar Tagen sein studentisches Auditorium mit einer Abweichung von seinem Vorlesungsmanuskript überrascht hatte. Zwar stellte er einen fadenscheinigen Zusammenhang her, aber jedem war klar, wie durchsichtig das Manöver war. Goya wollte etwas anbringen, dass nichts mit dem total unkriegerischen Schriftsteller James Joyce zu tun hatte, dessen Hauptwerk „Ulysses“ die Themen der Verlesung lieferten.

Goya sagte unvermittelt: „Das magischste Momentum des Menschseins besteht darin, dass ein Lebewesen ein anderes Lebewesen übernehmen kann, allein mit einem Wort, einer Geste, einem Geruch, einem Ausschnitt. Verführung ist die wahre Gewalt, sagt Schiller.

Den modernen Menschen gibt es seit 300.000 Jahren. Die Zivilisation existiert seit 12.000 Jahren. Zieht von 300.000 12.000 ab, erkennt man, dass wir nichts aus dem zweiten Zyklus adaptiert haben. Die längste Zeit waren die Umweltbedingungen völlig anders. Stellt euch einen Kampf vor 50.000 Jahren vor. Es war derselbe Mensch wie heute, aber das Geschehen vollzog sich unter völlig andere Bedingungen. Ich sage, was damals zählte, zählt heute genauso viel, und alles andere zählt nicht. Jeder Gedanke, jedes Lied, jede Idee wurde ging von einem Schwächeren auf einen Stärkeren über. Es gab keine anderen Transportmittel. Alles hatte eine unmittelbare Wirkung: Interesse, Intelligenz, Wissen, Erfahrung und Geistesgegenwart. Heute glauben viele, dass alles nur Mittel zum Zweck ist. In Wirklichkeit dient es dem Zweck.

Lernen Sie, den Gegner spiegelverkehrt zu lesen. Fragen Sie sich, was er braucht. Es gibt nur drei Rollen in einem Kampf. Sie sind entweder der moderne Mensch, das Mammut oder die Maus. Selbstverständlich will jeder ein moderner Mensch sein und keiner die Maus. Kämpfen Sie aber gegen eine Maus, werden Sie nichts gewinnen. Also, was bleibt? Warum konnte der moderne Mensch in der Steinzeit dem Mammut gefährlich werden und nicht das Mammut dem Menschen? Sobald Sie sich diese Frage richtig beantworten können, öffnet sich für Sie die Tür zu einer neuen Stufe des Begreifens.“