Side Thrill
„Sex ist ein stabiles System egoistischer Formen, die um die Sonne der Eitelkeit kreisen.“ Pola Oloixarac
Sie klimpert ein bisschen mit ihrem Erfahrungskleingeld. Die Liebe verbannt sie in die Dimensionen eines Fingerhuts. Persephone schmückt der Chic einer obsoleten Eleganz. Die geborene Rostockerin trägt ein himmelblaues Kleid mit V-Ausschnitt und unregelmäßigem Saum aus Crêpe Georgette.
Sie setzt den Fuß auf den Schemel, um den Schuh zu bewundern, den der alte Svevo ihr lüstern-devot auf den Fuß gezogen hat. Die Perversion als Profession; der Fußfetischist und Stiefellecker als Schuhverkäufer mit eigenem Geschäft von Gaspares Montanas Gnaden. Gaspare ist der Pate von G. Vielleicht holen wir doch noch mal kurz aus für die Säumigen in dieser Kunstkapelle.
Gaspare dient dem Ideal eines modernen Paten als Vorbild. Er diversifiziert sogar Morde, bis er vorderhand so legal operiert, dass staatsloyale Richter und Staatsanwälte seine Freundschaft nicht verschmähen. Man kennt und schätzt sich. Gaspare brilliert als Mäzen und Mentor. Aber das alles soll uns heute Morgen nicht beschäftigen.
Affiziert von einem neuen Nebenreiz (side thrill) analysiert Persephone Svevos mediokre Geilheit. Soll er mir doch die Füße küssen. Mit Kies gefüllte Blumenkübel gliedern die Verkaufsfläche wie einen Hindernisparcours. Raumspray-Aromen schmälern die Lufthoheit des vielschichtigen Lederwarengeruchs. Persephone zeigt Svevo ihre Erreichbarkeit, neugierig auf die Aszendenten des Fetischs. Svevo braucht keine zweite Einladung. Er sperrt seine Angestellten in Schubladen, bedankt sich leise und heiser bei der Großzügigen, und nimmt dann behände Persephones rechten, noch bestrumpften Fuß in den Mund. Im zweiten Akt leckt er nun nackte Zehen. Zu seiner Regression gehört auch der Blick unter Persephones Rock. Mehr braucht er nicht. Svevo fragt Persephone, ob sie beleidigt sei, wenn er vor ihr in einen Schuh ejakuliere. Er formuliert es anders, meint es aber höflich.
„Ganz im Gegenteil“, verkündet Persephone erheitert. Übrigens trägt sie weiße Cosplay-Dessous im Anime-Stil.
Svevo trollt sich. Eine Verkäuferin nimmt, fast tragisch verlegen, seinen Platz ein. Persephone will etwas Freundliches zu ihr sagen, aber nichts hilft. Die vorhersehbare Pointe: Als es ans Bezahlen geht, erklärt die Verkäuferin, dass die Rechnung bereits beglichen sei. Persephone bleibt ungerührt und gut gelaunt. Sie schlendert zur nächsten Eisdiele. Sie bestellt den größten Becher. Kalorienzählen kommt für sie nicht infrage. Sie mag es, wie sich ihr Bauch leicht vorwölbt.
Kosmische Vertrautheit
Geboren und aufgewachsen in Rostock. Die Eltern – beide Professoren mit Ostprägung – hatten bei der Namensgebung zweifellos etwas monströs Ehrgeiziges im Sinn: Die mythische Persephone war das Ergebnis göttlichen Inzests. Demeter, ihre vielleicht nicht so bekannte Mutter, verdankte ihre Geburt einer erotischen Kollision zwischen den Titanen Kronos und Rhea. Kronos war dafür berüchtigt, seine Nachkommen zu fressen. Er hatte nicht immer Erfolg damit. Persephone wurde aus der Geschwistervereinigung von Demeter und Zeus geboren. Folglich steht Persephone für Macht auf göttlicher Ebene.
Persephones Domäne ist eine Kombination aus Glamour und Hochkultur. Seph – für diejenigen, die ihr sehr nahe stehen – vollführt die Aufhebung der Trennung von Arbeit und Leben auf einer schmalen Linie zwischen Melancholie und Leichtigkeit. Die Männer, mit denen Persephone ausgeht, sind Meister der degoutanten Selbstinszenierung; Snobs, die an jeder Getränkeauswahl etwas auszusetzen haben. Eine Weinkarte ist für sie nur ein Vorwand für eine Exegese. Sie verunglimpfen Kellnerinnen mit olympischem Eifer. Ihre hochmütige Gemeinheit trägt das Markenzeichen der Pedanterie. Sie parfümieren ihre Arroganz. In ihrer Gegenwart kann Persephone keinen Aperol Spritz bestellen, ohne dass man ihr sagt, dass ihre Entscheidung sie zu einer Person der Vergangenheit macht. Sie lacht über die geschliffenen Darbietungen derer, die immer die teuersten Sachen bestellen, um keinen Zweifel an ihrem Status zu lassen. Persephone fischt ihre Liebhaber mit der nötigen Gleichgültigkeit aus diesem Becken. Sie verdient zwar wenig, schwimmt aber dennoch im Pool der Geldleute in einem ganz besonderen Refugium an der Ostsee. Eine baltische Mafia, bestehend aus ehemaligen DDR-Staatssicherheitsangestellten und anderen Ex-Ostblock-Haien, teilt sich das Territorium mit Gangstern, darunter sind auch lateinamerikanische Drogenbarone und andere La vida loca-Vertreter. Kolumbianische Kartelle entdeckten bereits die DDR als sicheren Hafen. Die Polizei beschlagnahmte tonnenweise illegale Waren, und Pablo Escobars Motto plata o plomo – Silber oder Blei – entweder du nimmst Bestechungsgeld an oder du wirst erschossen – landete unter den Top Ten der Leipziger Slogan-Olympiade. Biedere Rauschgifthändler bezogen Quartier an der Ostsee. Kleine, dicke Männer traten auf, die wie Pinguine watschelten und das Gehabe von Bürgermeistern an den Tag legten. Sie ließen sich und ihre Familien von britischen Söldnern bewachen. Gemächlich versuchten sie, die kolumbianische Justizministerin Mónica de Greiff zu töten. Auf ihren Kopf war ein Preisgeld von zwei Millionen Dollar ausgesetzt. Die Lebensspanne der Politikerin war Gegenstand einer Wette.
Auf einer Party umarmt die Philologin Persephone den Sicherheitsexperten Norbert überfallartig. Sie kann sich den Verzicht auf den Vorlauf einer zivilen Kontaktaufnahme selbst nicht erklären. Sie nötigt Norbert, auf sämtliche Präliminarien zu verzichten. Die beiden ziehen sich in das Schlafzimmer ihrer Gastgeber zurück. Dies ist bilateral mit dem Gefühl dringlichster Zärtlichkeit verbunden. Er herrscht kosmische Vertrautheit, pures Gattungsglück. Die Tiger im Dschungel feiern auch keine Verlobung. Sie sehen sich und erkennen sich in ihrer Schönheit.