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2024-11-09 18:02:41, Jamal

Adenauer

Mein Großvater war sein Berufsleben lang beim Ankermann in der Regel- und Messtechnik. Er brachte da auch einen Sohn unter. Meinen, so der gehässige Volksmund, dämlichen Vater. Der kam unter spät geklärten Umständen früh ums Leben. Am Tag der Beerdigung zog meine Mutter mit mir zurück in ihr Elternhaus. Da lebte immer noch ihre Schwester unter anderen Verwandten. Brüder hatten Schwestern geheiratet. Die Schwester meiner Mutter war „die Franz“, eine Variation von Franziska, für mich selbstverständlich „Tante Franz“. Ihren Mann, meinen Onkel Karl, hielt man für einen maßlosen Menschen.

Mutter trug über die Zeit Trauer, das war eine Tracht. Zu leiden lag ihr, glaube ich, fern. Als Mädchen war sie „mit Karl liiert“ gewesen, sie hatte ihn „an ihre Schwester abgetreten“. Die Franz hatte zweifellos den besseren Kesselmann geheiratet. Nämlich den Kesselmann, der es verstand, zu leben. So lernte ich den Unterschied zwischen nämlich und dämlich.

Mein Cousin fiel überall mit militantem Selbstbewusstsein auf. Seine Schwester war eine fidele Narzisstin. Ich beobachtete sie. Ich gefiel Valerie als Spiegel ihrer närrischen Eigenliebe. In der Liebe debütierte sie im Duett mit Ankermann-Junior, einem frühreifen Millionärssohn. Er war der Vierte in unserem Bund. Seine Leute besaßen etwas, das gab es in Frankfurt vermutlich nicht noch einmal: ein privates Hallenbad mit Fünfzigmeterbecken. Es lag im Hinterland des Ankermann-Anwesens im Holzhausenviertel.   

Ich war der Adenauer. Den Spitznamen verdankte ich einer Bemerkung in der Schule. Einer konservativen Äußerung, von einem grünen Lehrer quittiert mit den Worten: „Sie reden, wie weiland Adenauer sprach“. Mein Cousin ging zuerst als Babu unter die Leute, Babu leitete sich von „dem Babba sein Bubb“ ab, bis unser Familienname zu seinem Markenzeichen wurde. Er wurde der „Kesselmann“. Der klangvolle Name seiner Schwester verlor sich im nachtragenden Volksmund. Die kesse Kesselmann fühlte sich mit Kessi nicht verkehrt angesprochen.

Die erste Marke ihres Kerbholzes verdiente sich Kessi mit dem Freitod eines unerhörten Verehrers, da war sie vierzehn. Bevor er sich umbrachte, schrieb der Verliebte noch „Hier wohnt eine Hexe!“ an unsere Hauswand. Ferner malte er den Taufnamen der Dämonischen mit brennenden Buchstaben an eine Wand der Burgschänke. Von jeher war die Burgschänke das zweite Wohnzimmer der Familie Kesselmann. Onkel Karl war „an der Sache“ finanziell beteiligt. So umschrieb man stille Teilhaberschaften, die anderenorts in Frankfurt als „ein Viertelchen“ kursierten. Man hielt ein Viertelchen an einer guten Sache, damit hatte sich das, solange man nur „ein guter Kerl“ war. Ein guter Kerl konnte jederzeit auch „ein ausgeschlafener Mistkerl“ sein, die Grenzen verliefen fließend. Onkel Karl hatte Geld geheiratet, das war auch nichts zum Vergessen.