Der schönste Einwand gegen das von Alexander dem Großen zum Verwaltungszweck seiner Eroberungen eingeführte Amtsattisch lautete: „Damit kannst du die Welt regieren, aber keine Gedichte schreiben“.
Nächtliche Rauschschwüre
Nach dem Tod meines Vaters kehrte meine Mutter mit mir in ihr Elternhaus zurück. Da regierte Onkel Karl. Er war ein Bruder meines Vaters. Onkel Karl moussierte im Familiären. Fehlte „eins“, blies er die Backen auf. Sein Sohn war „ein Ausrutscher“ seiner Mutter mit dem Börsenwinkler. Man begreift etwas von dem bösartigen Hintersinn meiner Leute, betrachtet man den simplen Dreh, mit dem ständig auf den Fauxpas angespielt wurde. Mein Cousin war der Babu. Babu leitete sich von „dem Babba sein Bubb“ ab. Alle bekamen täglich ihr Fett weg. Zugleich ging fast alles gemütlich über die Bühne.
Der TV-prominente Rheinländer Winkler kehrte den Hessen hervor. Seine Nachahmungen unserer Mundart boten ein übersehenes Beispiel für kulturelle Aneignung. Winkler war ein begabter Schwadroneur und zwanghafter Handküsser. Meine Mutter Toni (Antonia) und ihre Schwester Franz (Franziska) - Schwestern hatten Brüder geheiratet - leimten auf jedem Schleim, sie kannten nur die Bütt. Die Lebensfreude hatte sie verdonnert und verknackt und verknackte dann auch einen Brummkreisel der nächsten Generation: Tante Franzens Tochter Valerie.
Valeries fideler Familiensinn trudelte in Übertreibung. Sie und ihr Bruder ließen sich herrichten und mitschleifen. Ich machte mit. Gemeinsam apportierten wir aufs Niedlichste sämtliche Insignien unserer Lebensart. Der Nachwuchs wurde wie bei einem Dressurwettbewerb vorgeführt, bei jeder Matinee im Hessischen Rundfunk und bei sämtlichen Premieren im Volkstheater, in der Komödie und im Fritz Remond-Theater. Man bläute uns Bedeutung ein, bis sie allen zu Kopf gestiegen war - und ich anfing, dem Oberbürgermeister Ratschläge zu geben.
Ja, ich war der Familienklugscheißer. Meine Selbstgefälligkeit wurde gefördert, das Pomadige gefiel. Valeries Verwandlungen nahmen das Ende vorweg. Mit fünfzehn strebte sie den kühlen Schick und artige Varianten in ständigem Wechsel an. Sie diskutierte mit mir über sekundäre Geschlechtsmerkmale. Dem Zotigen gewann sie viel ab.
Valerie hielt mich auf dem Laufenden. Ihre Erlebnisse brauchten Verdichtung. Das war Krisenmanagement. Der amtlichen Trübsalverweigerung zum Trotz trat bei Valerie eine Verstimmung auf. Der Grund dafür verbarg sich lange und war doch ganz schlicht. Sie war zuerst mit dem jungen Ankermann zusammen, der Millionenerbe ergänzte sie nicht und die Knaben en passant passten auch nicht. Doch woher hätten wir das wissen sollen? Das Zufällige meiner eigenen Versuche bot keiner Einsicht Raum. Ich tappte genauso im Dunklen wie Valerie. Ankermann-Junior schied dann zwar als Liebhaber beinah sang- und klanglos aus. Er verschmolz aber in somnambulen Vorgängen und nächtlichen Rauschschwüren mit dem Glutkern unserer Familie.