Geschwisterliche Erbitterung
„Mir habbe daham en alde Griesbrei, de Vatter sächt ‚Der kimmt in de Klo nei‘. Die Mutter schreit ‚Den tun mer behalte. Den Griesbrei, den alde‘.“
Drei Sätze in den blauen Dunst von Peter Stuyvesant und schon sind die Schwestern Toni und Franz (Antonio und Franziska, geborene Steinschneider) wieder „beim Thema“. Das Thema hat zwei Etagen. Oben verhandelt es die Nachbarschaft und darunter spricht Es. Wer mit wem vor allem damals. Als die Schwestern noch blutjung und kaum eine Ahnung. Aber die Soundso schon. Die Steinschneiderinnen können vor Verachtung glühen. Jedes Urteil nimmt sie aus, so verstehen sie den Unterschied zwischen dem Gleichen und demselben.
Das Nordend steckt im Frost. Wie tief fliegende Tornados überqueren Böen die Humboldtstraße. In der aufgerückten Arktis wirkt die Burg wie eine von der Straße gedrängte Anlaufstelle für letzte Maßnahmen vor einer neuen Eiszeit. Im Fernseher läuft wie immer der letzte Scheiß. Der Sturm nimmt lärmend ein Stück Fassade mit und lässt es mit dem Kelterschuppen kollidieren. Mit ihrem Bruder streitet Tante Tonis Tochter Valerie in geschwisterlicher Erbitterung. Babu hat die Schule kurz vor dem Abitur geschmissen, eine Schlägerei mit seinem Vater, meinem Onkel Karl, angezettelt und in der Burggaststätte ein neues Zuhause voller Aufgaben gefunden. Er füllt auf und räumt ab. Er lädt die Stalinorgel, so heißt die Spülmaschine im Burgjargon. Babu ist gerade volljährig genug für seinen Irrsinn mit viel Apfelwein und Mirabellenschnaps. Zu dem Traditionslokal gehört das von Norbert Nasenschweiß gegründete Kabarett „Gernegroß“. Einst war die Burg ein vor den Toren der Stadt Frankfurt gelegenes Wasserschloss. Labyrinthisch sind die mehrstöckigen Gewölbekeller.
Es sind herrliche Zeiten angebrochen. Valeries erste große Liebe, der Millionärssohn Fridolin Ankermann, geht mit einer Russin aus dem Baltikum ins Bett und Valerie steckt im Verborgenen mit mir unter einer Decke. Offiziell bin ich mit Aleksa zusammen, so wie Valerie nach allgemeiner Auffassung mit Mogli liiert ist. Moglis Oma wohnt in der Burg unterm Dach. Jeden Abend steigt sie in den Schankraum herab. Sie hat ihren Platz, ihren Stuhl, ihren Bembel, ihr Glas und jederzeit auch ihre Ruhe, sofern ihr danach ist. Ihr Horoskop in der Fernsehzeitschrift liest sie mit einer Lupe. Mogli dient Direktor Nasenschweiß als Personal-Vormund. Bei beiden prüft und erweitert Valerie ihr Wissen über alte Männer. So wie sie darüber redet, müsste man alte Männer in einem Wort schreiben. Für uns ist das Nordend ein Dorf mit eigener Regierung - in großer Besetzung sitzen wir auf der Reservebank der Patriarchen, im Mief unserer Altvorderen, den lebenden Fossilien. Onkel Karl lässt allmählich nach und ahnt das. Man spricht über die Eintracht, geht aber lieber zum FSV-Frauenfußball am Bornheimer Hang. Angenehm früh vergreist erscheint Mogli. Er nimmt, was er kriegen kann. Valerie trägt dick auf. Das ist Theater, ich weiß nicht wozu. Neben mir sitzt Aleksa. Ihre Eltern haben sich auf dem Balkan in einen Bus nach Deutschland gesetzt, als junges Ehepaar. Wenigstens so ähnlich soll das vor sich gegangen sein, sie könnten auch nacheinander gekommen sein und sich in Deutschland überhaupt erst kennengelernt haben. So ungewiss liegt Aleksas Herkunft im Dunkeln. Natürlich kann Valerie an Aleksa kein gutes Haar finden und doch fördert sie die Verbindung.
„Mir habbe daham en alde Griesbrei, de Vatter sächt ‚Der kimmt in de Klo nei‘. Die Mutter schreit ‚Den tun mer behalte. Den Griesbrei, den alde‘.“
Drei Sätze in den blauen Dunst von Peter Stuyvesant und schon sind die Schwestern Toni und Franz (Antonio und Franziska, geborene Steinschneider) wieder „beim Thema“. Das Thema hat zwei Etagen. Oben verhandelt es die Nachbarschaft und darunter spricht Es. Wer mit wem vor allem damals. Als die Schwestern noch blutjung und kaum eine Ahnung. Aber die Soundso schon. Die Steinschneiderinnen können vor Verachtung glühen. Jedes Urteil nimmt sie aus, so verstehen sie den Unterschied zwischen dem Gleichen und demselben.
Das Nordend steckt im Frost. Wie tief fliegende Tornados überqueren Böen die Humboldtstraße. In der aufgerückten Arktis wirkt die Burg wie eine von der Straße gedrängte Anlaufstelle für letzte Maßnahmen vor einer neuen Eiszeit. Im Fernseher läuft wie immer der letzte Scheiß. Der Sturm nimmt lärmend ein Stück Fassade mit und lässt es mit dem Kelterschuppen kollidieren. Mit ihrem Bruder streitet Tante Tonis Tochter Valerie in geschwisterlicher Erbitterung. Babu hat die Schule kurz vor dem Abitur geschmissen, eine Schlägerei mit seinem Vater, meinem Onkel Karl, angezettelt und in der Burggaststätte ein neues Zuhause gefunden. Er füllt auf und räumt ab. Er lädt die Stalinorgel, so heißt die Spülmaschine im Burgjargon. Babu ist gerade volljährig genug für einen Irrsinn mit viel Apfelwein und Mirabellenschnaps. Zum Traditionslokal gehört das von Norbert Nasenschweiß gegründete Kabarett „Gernegroß“. Einst war die Burg ein vor den Toren der Stadt Frankfurt gelegenes Wasserschloss. Labyrinthisch sind die mehrstöckigen Gewölbekeller.
Es sind herrliche Zeiten angebrochen. Valeries erste große Liebe, der Millionärssohn Fridolin Ankermann, geht mit einer Russin aus dem Baltikum ins Bett und Valerie steckt im Verborgenen mit mir unter einer Decke. Offiziell bin ich mit Aleksa zusammen, so wie Valerie nach allgemeiner Auffassung mit Mogli liiert ist. Moglis Oma wohnt in der Burg unterm Dach. Jeden Abend steigt sie in den Schankraum herab. Sie hat ihren Tisch, ihren Stuhl, ihren Bembel, ihr Glas und jederzeit auch ihre Ruhe, sofern ihr danach ist. Ihr Horoskop in der Fernsehzeitschrift liest sie mit einer Lupe. Mogli dient Direktor Nasenschweiß als Personal-Vormund. Bei beiden prüft und erweitert Valerie ihr Wissen über alte Männer. So wie sie darüber redet, müsste man alte Männer in einem Wort schreiben. Für uns ist das Nordend ein Dorf mit eigener Regierung - in großer Besetzung sitzen wir auf der Reservebank der Patriarchen, im Mief unserer Altvorderen, den lebenden Fossilien. Onkel Karl lässt allmählich nach und ahnt das. Man spricht über die Eintracht, geht aber lieber zum FSV-Frauenfußball am Bornheimer Hang. Angenehm früh vergreist erscheint Mogli. Er nimmt, was er kriegen kann. Valerie trägt dick auf. Das ist Theater, ich weiß nicht wozu. Neben mir sitzt Aleksa. Ihre Eltern haben sich auf dem Balkan als junge Eheleute in einen Bus nach Deutschland gesetzt. Wenigstens so ähnlich soll das vor sich gegangen sein, sie könnten auch nacheinander gekommen sein und sich in Deutschland überhaupt erst kennengelernt haben. So ungewiss liegt Aleksas Herkunft im Dunkeln. Natürlich kann Valerie an Aleksa kein gutes Haar finden und doch fördert sie die Verbindung.