„Eine herrschende Minderheit muss immer das Zeitgefühl derer, die sie ausbeutet, betäuben und womöglich beseitigen, und zwar dadurch, dass sie eine ständige Gegenwart in Aussicht stellt“. John Berger
Rechtschreibschwäche
Valerie hat eine Rechtschreibschwäche. Kommt sie aus der Schule, hat sie das Grauen im Herzen der Finsternis gesehen. Ein dramatisches Element spielt sich zu den Ibuprofen-Depots, Exzess-Geschichten mit Sachsenhäuser Schauplätzen und heimlichen Ausflügen bis hinter Lämmerspiel. Die Welt endet im Rodgau (siehe „Rodgau Monotones“). Da hört die Erde auf sich zu drehen, soviel steht fest. An genaueren Tagen endet die Welt bereits in Bornheim, im ehrwürdigen Wirtshaus Holz beispielsweise. Den Laden schmeißt noch nicht lange der Christian Gaube als Schwiegersohn und Eingeheirateter. Der Makel angeborener Mittellosigkeit wird ihm immer anhaften und auch noch die Position seiner Nachkommen belasten. Christian ist kein Holzer, er hat bloß eine Holzerin geheiratet. Mit solcher Schleich- aka Schlechtbabbbelei können wir uns ewig aufhalten.
Das Holz war ursprünglich ein Bordell. Damals, als Bornheim noch der Venushügel von Frankfurt war, und Goethe zum Tanz auf der Tenne vor die Tore der Stadt nach Bornheim sich verfügte. Ich blättere in einem liegengebliebenen Stern und bedauere, dass das Kreuzworträtsel schon gelöst wurde. Von einem, der die gleichen Lücken hat wie ich. Er kennt keine Sternbilder, keine Götter, keine Inseln. Die Nebenflüsse des Rheins und der Donau könnte er sich zusammengereimt haben.
Valerie klemmt zwischen mir und Mogli in einem Nordend Defender Babe-T-Hemd. Am Tresen betrinkt sich der Karateweltmeister aus dem Riederwald. Leute erreichen unseren Tisch wie ein rettendes Ufer.
Mogli muss telefonieren, die Stimme seines Herrn ruft ihn vor die Tür. Valerie und ich tauschen Blicke. Wir werden heiraten wie die Türken, Cousin und Cousine, wir sind eine ganz besondere Familie. So schwer es ihm fällt, die Pflicht ruft Mogli. Er eist sich los und seilt sich ab. Mogli ist so weit weg von der Selbstbestimmung, dass er als eigenständige Person gar nicht existiert, sondern nur als Darsteller einer eigenständigen Person.
„Meinst du wirklich?“ frage ich Valerie Stunden später im Technikraum des „Gernegroß“. Es riecht nach nassem Hund und altem Teppich. An sich ist Nasenschweiß gegen Hunde allergisch, aber dann kommt es auch wieder darauf an, wem der Hund gehört.
„Ganz bestimmt“, antwortet Valerie, „das hört doch nicht auf.“
Die Frage war, ob meine Mutter immer noch als Dritte im Ehebund die Beinah-Bigamie ihres Schwagers begünstigt. Gerade habe ich mein erstes Solostück für Valerie geschrieben, es heißt „Stadtschwein“. Nasenschweiß will „Stadtschwein“ persönlich inszenieren, die Tochter seines bewährten Feindes Karl Kesselmann zählt zu seinen Trophäen, so wie der skulpturale Kulturpreis der „Gewerbetreibenden im Nordend“.
„Von Ahnungslosen für Ahnungslose“ hieß es in der Laudatio leider dann doch nicht.