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2024-11-17 11:48:47, Jamal

Scheineifer

In monumentaler Wiederholungsbereitschaft seiner Vorurteile verlangt Nasenschweiss verkündungslaut, dass ich mit ihm gemeinsam meinen Cousin Babu für die Nummer Eins unter unseren Crashdummies halten soll. Selbst in seinen schlichten Ablehnungen wirkt der Gernegroß-Gründer belehrend. Ich speise ihn mit einer Notdurft von Zustimmung ab, mein Opportunismus rollt mir die Zehennägel auf.
Babu scheint auf seinen Ohren zu sitzen. Seit einiger Zeit residiert er mehr oder weniger als Einpersonenrandgruppe vor der Rückwand des Geschirrschranks. Nach der Hausordnung im Gernegroß ist das der letzte Platz am Tresen. Ich bin noch nie in die Verlegenheit gekommen, ihn einzunehmen.
Tanja rockt das Haus. Sie hüpft auf der Stelle. Ein Verhaltensrelikt aus der Pogowelt, schätze ich. Aus norddeutschen Clubkellern, die Dissen genannt werden, nach Frankfurt am Main als Lebhaftigkeitsbeweis abgeführt.
Tanja winkt beidhändig wie eine Faschingsfee. Im Wechsel und synchron. Dabei ist sie in ihrem Seestrandbadkaff doch so weit weg vom Narhallamarsch aufgewachsen.
Neben Tanja bemüht sich Britta darum, entfesselt zu wirken. Britta und Tanja waren zusammen im Kino. Sie haben „Walk The Line" gesehen und bewundern jetzt Reese Witherspoon. Sie lassen ein Spielzeugpolizeiauto vom Sperrmüll über die Theke rasen.
„Das Drecksding hält keinen Zentimeter die Spur", schreit Britta. Ihre Stimme überschlägt sich. Der Katzenjammer kündigt sich bereits an. Dem Furor folgt die Scham. Ich weiß das so genau, weil ich auch mal mit Britta zusammen war.
Winnie kommt barbarisch aus der Küche der Burgschänke, mit der sich das Kabarett „Gernegroß" Haus und Hof teilt. Angefangen hat der geborene Ruhrpotter als Gott unter Spülern. Jetzt kämpft er sich als Hilfskoch durch mörderische Schichten.
Winnie grüßt kollegial in die Runde. Er will einen Espresso. Tanja versorgt ihn fürsorglich, obwohl sie nicht im Dienst ist. Das gehört zur Solidarität unter zugezogenen Underdogs.
„Hast du das Spiel gesehen?" fragt Winnie. In seinem verjährten Herkunftsstotz als Bochumer zieht er es vor, die Eintracht verlieren zu sehen und hat deshalb bei uns nichts zu lachen.
*
Es geht ein roter Rioja, an einen Tisch mit vier Leuten. Sie waren jung als ein DJ noch Leben retten konnte und Dampfbügeleisen zum Haushalt gehörten. Ich dimme das Saallicht mit einer neuen Einrichtung namens Slave.
Simone führt Arbeitsschritte verlangsamt vor. Abgerichtet in ihren alltäglichen Angestelltenverhältnissen, bestimmt für sie die Uhrzeit den Feierabend. Barchefin Leonie treibt sie ein bisschen an, Simone kommt ihr mit Scheineifer und vorsichtshalber auch mit prämenstruellen Beschwerden. Simone kultiviert eine schlichte Fassade. Sie frühstückt gern früh und ausgiebig, mit Brötchen und Bildzeitung. Ich kenne sonst niemanden, der das tut und nicht alter Proll ist. IM Weiteren werden Damenkranzangelegenheiten besprochen. Im Damenkranz haben sich die Kassenmädchen, Thekenfrauen und unsere Techikerinnen zusammengeschlossen.
„Themenwechsel. Geschlechtskrankheiten", sagt Britta. Mit der Aussicht, ein Paar zu werden, waren wir vor drei Jahren aus einer Nacht im Gernegroß hervorgegangen. Den Tagesanbruch wollte Britta im Günthersburgpark erleben. Sie sagte Gpunktpark. Das kannte ich schon. Die ersten Läufer überholten uns, ich kommentierte ihre Beinarbeit. Britta erzählte von den ökumenischen Gottesdiensten jedes Jahr zu Fronleichnam im Park.  

Britta kam ohne Erklärungen für den Zustand ihrer Wohnung aus. Eine liegengebliebene Unterhose trat sie unter einen Klamottenhügel. Mir fiel nichts Denkwürdiges ein, bei Britta wurde auch nur die Miete abgewohnt. Ich war froh, dass sie ihre Duftkerzen kalt ließ, ich bin kein Typ für Duftkerzen. Das Gothicdekor fand ich makaber, die Matraze auf Paletten bestätigte den Rest.

„...?“ fragte Britta. Das immerhin war überraschend formuliert. Sie steigerte sich, ich wunderte mich über eine Unverfrorenheit, die ich mit nichts in Verbindung brachte, was mir bis dahin an Britta bemerkenswert erschienen war. Brittas Entpuppungen verwirrten mich. Ich fürchtete, gefoppt zu werden.