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2024-11-17 13:25:26, Jamal

Reizempfindliche Phasen

Prälatenfeist rückt Gernegroß-Gründer Norbert Nasenschweiß zum Tresendurchgang auf. Das Personal soll im Zuge der Umgehung des Kabarett-Patriarchen einen Hauch seiner Bedeutung einatmen.

Nasenschweiß verstellt gern Personalwege. Letzte Gäste hätten gern ein neues Teelicht. Ein einsamer Nussknacker auf der Durchreise wüsste gern wie spät es ist. Trapperesk trägt er einen Fuchskragen auf dem Kopf. Babu würde gern Dave Dude hören, der Wunsch bleibt unbeachtet. Ich erinnere Zeiten, da hörten wir ständig die obsoleten Surf- und Countrysachen, die Babu direkt aus Amerika von einem Scharfschützenausbilder namens Skip Granberry bezieht. Damals stand noch die Frage im Raum: Was ist Cowpunk und was ist kein Cowpunk? Oft diskutiert am Beispiel von Hank Williams III.

Morgen muss Babu das pfandfreie Leergut zu den Containern vor der Rucolarübenbar tragen, die Altglaskiste ist randvoll. Für Barchefin Leonie zählt, dass er dafür keinen Auftrag braucht. Er sieht, was anliegt. Leonie lässt Britta den Umsatz feststellen, das läuft schon auf eine Entbindung vom Thekendienst hinaus. Britta begibt sich mit der Kasse auf die Publikumsseite des Tresens, auch das soll uns was sagen. 

„Ist genug Minze da?“ fragt Tanja leidenschaftlich. Obwohl sie gar nicht im Dienst ist. Sie ist der einzige Mensch, den ich kenne, der Bücher aus der Leihbibliothek liest.  

Britta ist schon wieder bei ihrem Ex, „diesem Rolls-Royce Lover“, so Britta über den allseits bekannten Musiker und Graffitiartisten Louis.  

Die Beziehung zwischen einem Koch und einer Köchin beschreibt Britta als K&K-Monarchie. Die Rote Armee, als periodische Unterbrechung weiblichen Wohlbefindens, ist auch von ihr. Nebenbei seift sie Nasenschweiß ein, der sich auf einem Kellnerblock Notizen macht. Britta erzählt von einer Hose aus ihrer Punkzeit, die so steif war von Farbe, dass man sie in die Ecke stellen konnte. Sie hat ein feines Gespür für die eitlen Nöte alternder Männer. Sie kennt reizempfindliche Phasen, dann kann sie nicht vor die Tür. Sie konsultiert eine koreanische Heilerin, die in jedem Fall zu Sauerkrautsaft rät.

Es gibt nichts Unbedeutendes. Eine hochgezogene Augenbraue, ein abgleitender Blick, eine beiläufig wegwerfende Handbewegung, das kurze Entgleisen der Züge ... im Augenblick lautet die wichtigste Frage: Hat es „Milli Vanilli“ gebracht oder eher nicht? Valerie durfte einem der Musikerdarsteller bis zur Wahrnehmung seines Aftershaves näher kommen, die anderen wissen, dass Fabrice im Dschungelcamp war. Alle versuchen „Girl you know it´s true“ zu singen, keinem gelingt es. 

„Attacke“ befiehlt Nasenschweiß. Die letzten Gäste haben mit ihrem Abgang ahnungslos das Rauchverbot im Saal aufgehoben. Britta knallt Aschenbecher auf den Tresen, die Kaffeemaschine kaprioliert, als sei sie auch froh und beteiligt. Durch Deutschland geht ein Ruck, das Gernegroß ist Gästefrei, die Party kann beginnen.

Tanja und Babu räumen Tische ab. Ihre Kollegialität gegenüber der waltenden Leonie/Britta-Schicht geht den Übrigen zu weit. Niemand sonst untergräbt den Unterschied zwischen Arbeit und Freizeit im Gernegroß. Alle kommen gern auch privat und entfalten ihre bürgerlichen, den Hauptberufen angepassten Persönlichkeiten. Nur Tanja ist nicht im Mittelstand verankert. Sie füllt für Britta sogar auf, während Leonie Britta überredet, doch noch die Kaffeemaschine sauber zu machen. Das Gernegroß verdankt das vielseitige Gerät dem Niedergang  einer legendären Kneipe im Nordend. Im permanenten Jetzt spielt diese Insolvenz keine Rolle mehr, so wie jetzt hat Tanja mich noch nie angesehen. So verliebt, würde ich sagen, wüsste ich es nicht besser.

Die Kaffeemaschine steht an ihrem Platz wie eingerückt vor hundert Jahren.