Ein Hauch von München
Das Begehren einer Sechsunddreißigjährigen als Altenpflegerin in den Arbeitsmarkt re-integriert zu werden, schmetterte die Begründung ab, sie sei schon zu dicht am potentiellen Kundenkreis. Tanja läutet mit der Schote den Feierabend im Gernegroß ein. Altenpflege gehört zu den vielen Tätigkeiten, mit denen sie sich über Wasser hält. Der Tresen darf nur mit der weichen Seite unserer Spontex-Zelluloseschwämme - 100% pflanzlichen Ursprungs: weich, saugfähig und leicht auswaschbar; besonders resistent gegen Bleichmittel, - gewischt werden. So steht es im Tresenbuch nach Barchefin Leonies Willen. Die Schwämme kann man in einer Mikrowelle entkeimen. Aber wer macht sowas?
Es ist Freitagabend, wir gehen in kleiner Besetzung und nur mit einer Assoziierten ins Wochenende. Die Koksbaroness will lieber mit uns als mit den Berufstrinkern in der Burgschänke nebenan das vorläufig entgültige Scheitern ihrer Ehe mit einem Porsche Cayenne-Fahrer begießen. Sie selbst fährt einen Chevrolet Blazer in Violett, ein Sport Utility Vehicle. Dieser SUV ist ein Lebensartaccessoire nach dem Geschmack der Wohlhabenden im Nordend.
Mundartlich verbreitet die Baroness einen Hauch von München. „Ja, holla, die Waldfee“, meldet sie nach dem Klingelton. „Ich bin‘s selbst. Gell, jetzt bist du sprachlos.“
Die Baroness entert die Bühne. Der Vorhang existiert nur als Idee. Das Bühnenbild zeigt eine Ikeaallzweckkammer mit Paravent. Tanja lenkt die Aufmerksamkeit der Verschworenen auf sich: „Unterhalten sich zwei Kitzler. Weißt du, was man von uns behauptet? Wir seien so widerlich kalt und feucht. Wer erzählt denn so was? Böse Zungen!“
„Ich habe als Kind auf Dinge gepinkelt, die schlauer waren als du“, behauptet Leonie. „Das war“, kontert Babu ungerührt, „als die Gummistiefel noch aus Holz waren und der internationale Terrorismus in den Kinderschuhen steckte.“
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„Ich möchte sterben wie mein Großvater, friedlich und im Schlaf. Auf keinen Fall hysterisch wie sein Beifahrer.“
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Ibu ist jetzt auch gepierct. Bei unserem jüngsten Techniker kommt die Abgeklärtheit vor der Erfahrung. Er glaubt, musikalisch sei schon alles gesagt. Enorm erscheint ihm die Einsicht, dass Rock nicht neu ist. Ich glaube, Ali Neander von den Rodgau Monotones ist ein Onkel von ihm.
Es ist kaum Grauburgunder in der Kühlung und im Lager liegt überhaupt kein Grauburgunder mehr. Eine Fahrt mit dem Kleinkunstbus ins Rheingau steht an. Im Tresenbuch steht bereits von Leonies Hand: Kein Grauburgunder für das geschätzte Personal, bis zum Widerruf der Anordnung. Leonie hat im Gernegroß sogar Apfelweinseife eingeführt, die aber nur nach Pril Winter Apfel riecht. Sie hat Tanja eine unparfümierte Handcreme empfohlen und Tanja hat sich die Handcreme für zweihundert Anwendungen (ihre norwegische Formel verspricht intensive Feuchtigkeit für trockene Haut) tatsächlich zugelegt. Ja, Tanja. Ihre freundliche Verlässlichkeit übersteigt die Anforderungen an Jobber bis zu einer Oberkante, die ich absichtlich nicht im Blick behalte. So wie Tanja nimmt man eine schlecht bezahlte Nebentätigkeit an sich nicht wahr. Da ist man lässiger, auch nachlässiger. Zum Beispiel beim Fegen des Saals und der Garderobe. Ich kehre Dreck unter den Teppich und in die Ecken, Tanja geht so weit, die Schludrigkeit anderer kommentarlos auszugleichen. Das wurde ihr vorgehalten. Aber Tanja widersetzt sich konsequent einer Dienstanweisung, derzufolge keiner dem anderen hinterher arbeitet. Wir kontrollieren uns nicht gegenseitig. Nasenschweiß will keine Anscheißer beschäftigen. Tanja ist natürlich keine Anscheißerin. Die Handcreme heißt Neutrogena. Leonie will einen Personalvorrat davon anlegen und auf jeden Fall auch noch Moskovskaya besorgen. Den halben Liter für acht-fünfzig.
Ich rechne die Kassen ab und hinterlasse den Kolleginnen der nächsten Schicht als Gruß die Bemerkung: Vom Hund lernen, heißt sich sowas von freuen lernen können.