Der Journalist Mason benennt die Pfeiler seiner Herkunftskultur: „Hass auf alles, was mit den Reichen zu tun hatte, Misstrauen gegenüber allem, was von draußen kam, und Ablehnung gegenüber all jenen, die dem marktwirtschaftlichen Denken Vorrang vor dem menschlichen Anstand gaben.“
Mit diesem Rahmenprogramm hatte man Jahrzehnte sozial gewirtschaftet und so eine Gemeinschaft in Gang gehalten, die sich zwischen Gruben, Kneipen und Vereinen zu behaupten wusste. Die Gruppenidentität wirkte wie ein Ausschlussverfahren, dass alle distanzierte, die als Verderber des Gemeinwesens wahrgenommen wurden. Ich greife vor. Das betraf Handelsvertreter, Kredithaie und Mieteintreiber, die nach dem Zechensterben in den Arbeiterquartieren kleine Unternehmen etablierten, Reinigungs- und Sicherheitsfirmen sowie Sonnenstudios, mit denen sich das organisierte Verbrechen verband. In der Umgebung florierten Daseinsvarianten von überschuldeten Drogenkonsumenten.
Was war in der Zwischenzeit geschehen?
Delphine beim Daimler
Nein, nicht Hasselhoff und auch nicht Hasselblad, wenn du wüsstest, wie schlecht ich geschlafen habe, es geht um Kesselmann, ja, um den K-e-s-s-e-l-m-a-n-n, den Erfinder der Wurstplatte gleichen Namens. Dem Vater von Melody Christ und Urgroßvater von Valerie Constanze, die inzwischen im Vorstand des Gernegroß das große Wort führt und selbstverständlich mit einem Vorstandsvorsitzenden verheiratet ist. Der alte Kesselmann war seinerzeit Sugardaddy einer geraumen Anzahl weiblicher Personen, und Partner in Crime, wenn der Adorno nach München in den Puff fuhr, um sich für viel Geld auspeitschen zu lassen von einer Klara aus Magdeburg.
Das habt ihr alles nicht gewusst, ihr Banausen. Wisst ihr wenigstens, was Magdeburgisieren bedeutet? Wenigstens das? Ach, Scheiße mit euch. Zur Feier des Tages tragen die Gernecrossies Glöckchen am Hals. Es gab deshalb eine erbitterte Debatte mit Leonie wegen der Menschenwürde, dass ich nicht lache.
Ich träume von einem Delphinritt im gefluteten Stuttgart. Die Delphine sind so plastisch wie Skulpturen. Obwohl die Stadt unter Wasser steht, fahren Straßenbahnen. Tine ist bei mir, zumindest nicht weit weg. Ich gebe mir Mühe, sie an meiner Begeisterung zu beteiligen. Sie soll verstehen, was ich empfinden. Ich bin wenig gereist, das bedauere ich im Traum. Ich war kaum je in Stuttgart, kriege aber immer noch jedes Jahr zu Weihnachten eine Weißt-du-noch?-Postkarte von einer schwäbischen Krankenschwester, die ich zufällig in einem Zug vor langer Zeit kennengelernt habe. Die Erinnerung an einen Stuttgarter Abend, die Schwester und ich hatten uns hinter Lustigkeit verschanzt. Das geile Interesse stämmiger Typen, die „beim Daimler“ beschäftigt waren und sofort die Lage gepeilt hatten. Sie versorgten uns mit Getränken, wir spielten mit ihnen Billard. Ein verirrter Iraner, Marke einsamer Elektrostudent, wollte auch gern, das versuchten die Schwaben zu vereiteln. Wir solidarisierten uns mit dem Außenseiter und trennten uns im Streit von den Platzhirschen. Schließlich landete der Student mit der Schwester in einem Bett. Er blieb beim Sie in einer fremden Sprache. Das wurde mir zugetragen an einem verkaterten Vormittag. Ich geriet in eine auf Beatliteratur spezialisierte Buchhandlung. Ein großer Mann sprach mich an, das war der Schriftsteller Jürgen Ploog, der am Abend zuvor mit William Seward Burroughs ausgerechnet in Stuttgart aufgetreten war.