Soziale Null
Jetzt läuft Hasi wieder, vorhin hat sie sich die Finger an glühend heiß aus der Spülmaschine gekommenen Tellern verbrannt. Für sie ist viel noch arg, aber eine Ahnung vom Guten an der Sache wirkt schon belebend.
Babu hat die Neue alle Zeit im Blick, er schickt sie und hält sie in Gang. Er prüft Hasi, er weiht sie ein: „Wir bewirtschaften einen Mythos.“
„Das gibt es doch überhaupt nicht.“
Hasi versteht noch nicht einmal ansatzweise, was Babu aufregt. Der große Bembel ist leer, Hasi weist Hilfe erheischend darauf hin. Babu hebt den Krug prahlerisch aus der Kippvorrichtung auf Brusthöhe und darüber eine Zehnliterkanne (die sogenannte Stütze) voller Apfelwein.
Der Bullenstrahl rauscht in den Bembel. Zur Freude des Stammtischs lädt Babu die Neue ein, den schwerathletischen Akt auch einmal zu versuchen.
„Das kann ich nie im Leben“, sagt Jana. Sie schmeichelt Babu und lässt zu, dass er in ihr Haar atmet. Er fährt auf, wie man bei uns sagt. Babu ist seit zwanzig Jahren im Burgdienst, ohne je vom Küchenhelfer auch nur zum Hilfskoch befördert worden zu sein. Die Tristesse seiner Vita macht die Leute ratlos. Sie suchen nach Bemäntelungen für die soziale Null. Babu firmiert als Urgestein, Burg-Faktotum, lebendes Fossil, freilaufendes Inventar sowie als Lebenslänglicher.
„Der Babu hat lebenslänglich in der Burg.“
Er holt Zigaretten für den König und dessen Stellvertreter, dem Fürsten der Finsternis. Seiner Deklassierung fehlt ein triftiger Grund. Babu ist freundlich, unermüdlich, zuverlässig und grenzenlos loyal im Verhältnis zu den Oberhäuptern seiner Welt. Seine Beständigkeit stellt innerhalb des Systems einen unter den Teppich gekehrten Wert an sich dar. So einen wie Babu braucht man in einem so großen Haus, in dem Tag und Nacht geschehen und kaputt gehen. Für das Publikum entspricht die offensichtliche Verweigerung der Wertschätzung, mit der die Chefs Babu deklassieren, einer Ächtungsmarke.
In ein paar Wochen wird sich Hasi von Babu nichts mehr sagen lassen und ihn mit anderen Augen betrachten.
„So ist das Leben“, gehört zu den ständigen Feststellungen in der Burg. Gleich, ob vom Glück die Rede ist oder von Pech, am Ende jeder Erörterung heißt es, so ist das Leben. Das Leben ist so, dass der Sonntagskoch den Dienst angetrunken um drei antritt und den Feierabend mit einem halben Liter Pfälzer Schorle um halbelf vorbereitet. Er erklärt das Hasi um Viertel nach zehn, alle Uhren im Haus gehen angeblich nach. Hasi wartet Babus Zustimmung ab, bevor sie anfängt, den Rheingauer Riesling für die Pfälzer Schorle zu suchen.
„Ich hab‘ dir doch gezeigt, wo was steht“, sagt Babu, die Galgenfrist nutzend, die ihm Hasis Ahnungslosigkeit beschert.
Kurt macht den Koch rund, der Koch, ein Mann von leutseligem Wesen, findet die royalen Vorwürfe amüsant. Ihm bleibt nichts anders übrig. Er stünde verloren in der Welt, ohne Kurts hämisches Verständnis für eine Krankheit, die in der Burg grassiert. Das Personal hat sich wie ein Mann dem Suff ergeben und auch sonst mit vielem abgeschlossen, so wie mit der Hoffnung auf eine Fünftagewoche, auf Urlaub und Rente und auf ein gedeihliches Zusammenleben in zweisamer Eintracht.
„So ein Tag, so wunderschön wie heute“, greinen fünf Männer an einem Tisch. Hasi soll nachschenken und mittrinken und weiß nicht, ob sie das darf. Sie sieht Babu fragend an, der die Frage umgehend zur Chefsache erklärt. Gebeten zu werden, ist Kurt ein Vergnügen. „Einer geht doch“, entscheidet er.
„An sich soll das Personal während der Arbeitszeit nüchtern bleiben“, behauptet Babu, um Hasi mit widersprüchlichen Ansagen verwirren. Er ist selbst schon ganz schön verheft.
„Ich hab‘ gefragt“, sagt sie kleinmütig.
„Ich sag´s dir für die Zukunft.“
Babu lässt Hasi ein Fass wechseln, „damit du´s lernst.“
Das Fassrevier ist ein Kellerverschlag, Hasi macht was falsch. Bier schießt aus der Leitung und trifft sie und ihre Aufsicht.
„Du musst noch viel lernen“, stellt Babu zufrieden fest.
Hasi stimmt zu.
„So kannst du nicht weiterarbeiten“, sagt Babu, „so saumäßig.“
Von der eigenen Erscheinung sieht er ab. Hasi folgt Babu in die Künstlergarderobe des „Gernegroß“. Da lädt jede Menge Krempel zu einem Kostümfest ein. Babu zieht ein T-Shirt aus einer Halde. Er hält den Fetzen hoch.
Die letzten Gäste kommen wie Kriegsversehrte an.
„Eisgekühlter Bommerlunder, Bommerlunder eisgekühlt“, grölt Schmuddel. Er kann sich kaum noch auf einem Stuhl halten. Das Zifferblatt seiner Uhr ist zerschlagen. Es ist spät in der Nacht oder früh am Morgen, je nachdem, wie man die Stunde ansieht. Schmuddel sammelt seit seiner Kindheit Schallplatten. Mit seiner Anlage könnte man einen Club beschallen. Es gab eine Zeit, da hörte Babu für sein Leben gern bei Schmuddel nachts Musik, bis die Polizei kam, stets mit Verständnis für die Buben.
„Wer wird denn weinen, wenn wir auseinander gehen?“
Hasi muss für Kurt Zigaretten ziehen, angeblich gehört Geselligkeit nach Feierabend zum Job. Unbemerkt lässt sich Hasi vom Gespräch der Eingesessenen einweihen. Wieder und wieder werden Eigentumsverhältnisse durchgegangen. Wem was gehört und seit wann.