Offenes Zeitfenster
Und es ist Sommer.
„Von jetzt an fließt dir das Wasser direkt in die Schuhe“, verkündet Babu.
Hasi gießt das Gestrüpp vor dem ersten Ansturm. Mit einer Zange, die nicht richtig greift, liest sie Kippen im Garten auf. Die ersten Gäste freuen sich, ein besseres Leben zu haben als Hasi. Sie haben keine Ahnung. Das Leben in der Burg bedeutet Arbeit und Völlerei. Man kann davon ergriffen werden wie von einer Religion.
In der Burg steht ein Zeitfenster offen. Man sieht herrschaftliche Darstellungen als Wandmalereien, so wie in Kreuzgängen von Klöstern. Signierte Zierleisten schließen die Maueraufträge ab. Verewigt haben sich Magnaten: noch ganz anders als alle Heutigen ausgestattet mit ihren Patriziergewissheiten und feisten Leibern, die dicht an den Affekten siedelten. In Hasis innerem Theater treten sie als Zobelmänner auf.
Manche Ansichten scheinen unter der Wirkung von Tollkirschen entstanden zu sein.
Ab halbelf gibt es nichts mehr für draußen. Bis dahin müssen sich die Gartengäste am Schalter mit Getränken selbst versorgen. Nur Essen wird gebracht.
„Du kannst am Tisch keine Bestellung aufgeben“, sagt Babu zu einer greisen Nachbarin. Mit einer Gehhilfe hat sie sich in den Garten geschleppt.
„Ich kannte schon deinen Großvater. Der war auch so schroff.“
„Das hört man gern.“
Hasi möchte der Lahmen helfen.
„Wenn du der den Schoppen bringst, kannst du dich gleich dazu setzen“, sagt Babu.
Hasi versteht die Welt nicht, das gefällt Babu. Er singt „Always look on the bright side of life“, während er Teller von den Tischen räumt. Die Musik zum Handkäs schmiert auf dem Tablett. In der Küche unterstützt Babu den verkaterten Koch. Er macht schnell einen Salat, er zieht die Blätter aus dem Abfall, um sie im Garten einer Gattin mit den Worten zu servieren: „Alles Bio.“
Der Koch hängt in den Seilen, stehend k.o. nach einer durchzechten Nacht. Vielleicht war er auch länger unterwegs, wer will das schon genau wissen. Früher hätte sich der Koch mit einer Story aus der Affäre ziehen können. Diese Zeiten sind vorbei. Babu holt für ihn einen Senfeimer aus dem Lager. Als er wieder in die Küche kommt, steht Hasi mit abgeräumtem Geschirr da. Babu befiehlt ihr, die Spülmaschine zu laden, der Koch weiß warum. Er hält sich immer noch für einen Kumpel, der bei jedem Spaß mit von der Partie ist. Er nähert sich Hasi mit kreisenden Hüften. Babu knallt ihn gegen die Wand. „Das machst du nicht noch einmal.“
„Einmal Tatar ohne Kapern mit extra Sardellen zum Mitnehmen“, ordert König Kurt. Er sieht seinen dampfenden Hausknecht mit einer Pfanne im Angriff und meint gemütlich: „Ist die Kneipe noch so klein, einer muss das Arschloch sein.“
Der Koch ist klug genug, um vom Wirt keine Unterstützung zu erwarten.
„Wer sich nicht wehrt, kommt an den Herd“, sagt er zu Hasi, um ihr mit Selbstironie Stehvermögen zu beweisen. Hasi hütet sich, dem Verlierer mit Mitgefühl entgegen zu kommen. Kommt ihr Babu im schmalen Korridor zwischen Schankraum und Küche entgegen, zeigt sie sich nicht mehr so entgegenkommend wie in den ersten Monaten.
Den Leuten fällt immer noch was ein. Sie schreien nach einer zusätzlichen Scheibe Brot, nach Salz und Ketchup. Sie brauchen noch ein Besteck mehr. Sie halten die Bedienung mit Bemerkungen auf: „Ich bin so gern in Ihrem Garten. Das wollte ich Ihnen schon immer einmal sagen.“
„Ich bin Fotograf und Ihr Gesicht interessiert mich.“
„Jonas frag doch mal die Bedienung, ob sie dir nicht noch einen kleinen Löffel bringen kann.“
„Ich finde, bei Ihren Preisen könnten Sie ruhig einen anderen Ton anschlagen.“
„Sie scheinen Ihre Gäste nicht nötig zu haben.“
„Sie müssen neu sein.“
Eine Wuppertaler Frohnatur hätte am liebsten einen Milchkaffee.
„Sieht das hier aus wie ein Eiscafé?“ fragt Babu am Schalter.
„Das kann man auch freundlicher sagen, wenn man was nicht hat.“
„Die Burg ist eine Apfelweinwirtschaft und in einer Apfelweinwirtschaft gibt es keinen Kaffee, keinen Süßgespritzten und keinen Strudel mit Sahne. Und wenn man schon kein Hesse ist und nicht Bescheid weiß, dann muss man deshalb nicht alle Welt verrückt machen mit seinem Quatsch. Da schleicht man sich eben sonst wohin. Gibt doch genug Pizzerias.“
„Trag nicht so dick auf.“
Der König maßregelt den Knecht. Kurt sieht seinem vierzigsten Lebensjahr entgegen. Er wird sich zum Geburtstag selbst ein Motorrad schenken. Vier Harleys stehen schon in der Garage, darunter eine astrein restaurierte Knucklehead aus dem Jahr 1936 und eine Panhead Hydra-Glide. Hasi soll ihm im Schuppen zur Hand gehen. Kurt will aus dem Schuppen einen Arrest für die Subalterne machen. Er zeigt Hasi eine ruinierte Kelter wie etwas babylonisch Urzeitliches. Er deutet bedeutungsvoll auf Türme aus Kanistern, Fässern und Steigen. Auf an Haken hängende Ketten, Schläuche, Jagdsachen und Krempel voller Spuren von verschleißendem Gebrauch. Es riecht nach Teer und Schimmel.
Kurt schwingt einen Säbel. Der Säbel gehörte einem Ahnen. Der zog mit dem Säbel in den letzten Krieg, den Deutschland gewonnen hat. Das tat er aus einem Pflichtgefühl, das den Widerwillen überwog, den er als Hesse gegenüber seinem preußischen Landesherrn empfand.
Hasis Geschichtskenntnisse sind dürftig. Ihr kann man alles erzählen, sie kann sich nicht merken, ob die Neandertaler jetzt vor Karl dem Großen waren oder später. Sie hört Straßenlärm, Geräusche spielender Kinder, Gelächter aus dem Garten, Schritte auf einem Bürgersteig. Ein Hubschrauber überfliegt die Gegend. Schon nimmt Hasi das alles in sich auf, als könnte sie ein bisschen darüber verfügen.