„Die Sprache wird zum Nervensystem der Menschheit.“ Horst Tiwald
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„Ich habe nur gelebt, um zu schreiben. Dinge, Gefühle, Menschen habe ich nur gespürt, gesehen, gehört, um zu schreiben. Das ist mir lieber gewesen als äußeres Glück.“ Paul Léautaud
Das Geheimnis der grünen Türklinke
Schon kennt Jana das Geheimnis der kupfergrünen Klinke, verwahrt in einer Ramschschublade des Buffets. Buffet ist ein hessisches Wort für Tresen. In der Burgschänke heißt der Tresen Kommandobrücke. Jana eilt zu der Tür ohne Klinke. Die Tür befindet sich hinter einem Tisch namens Rolf, so benannt zur Erinnerung an einen, der an diesem Tisch verschied nach dem Verzehr von Brokkoli, der vorher schon dreimal zurückgegangen und deshalb vorübergehend eingefroren worden war, bis wieder einer da war, der sich traute, Brokkoli in einer phonetischen Annäherung an die amtliche Orthografie auf die Tafel zu schreiben. Die Tür wirkt wie eine Attrappe. Ist aber eine echte Tür. Jana setzt die Klinke ein, macht die Tür auf, weiß, wo das Licht angeht und die besten Flaschen stehen und hat ferner schon gehört von dem Gang, der von einem Gang abzweigt, wo noch ein Gang sein soll, der zum Veilchenhof und zum Größenwahn führt und auch zu dem Eiskeller für die unchristlichen Messen und erdolchten Miethaie. Das ist alles wahr. Und so wahr ich hier sitze als vereistes Gespenst, trägt Jana den Cognac, den Franz Horn letztes Jahr aus Spanien mitgebracht hat, zum königlichen Stammtisch und platziert die Flasche neben dem heiligen Aschenbecher, der dem König (bürgerlich Kurt Wundersamen) vorbehalten ist. Die Ereignisse torkeln ihrem Klimax entgegen, der König droht dem Himmel. Er spricht mit Gott über Kühlschränke. Der Sonnenuntergang des Abendlandes ist beschlossene Sache im Fleischwolf des gesunden Volksempfindens. So geht es zu in der Welt. Und anders geht es nicht. Die Welt besteht aus einem Schankraum und einem Saal. Sie besteht aus Gängen, Zufahrten, Randzonen, Abstellkammern, Katakomben und ungarischen Äpfeln, die nach hessischer Landschaft duften, so abgerundet und weich gezeichnet wie die Wetterau.
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Drei Jobs, aber keine Existenz. Zu Janas ausufernden Tageslichtverpflichtungen gehört die ambulante Altenpflege. Die Bedürftigen staunen über Janas Verabredungsgenauigkeit. Manchmal kommen sie in den Genuss einer reizenden Schwergängigkeit; wenn Jana den Feierabend in der Burg einmal wieder bis in die Morgenstunden ausgedehnt hat. Wie gern würden die Greise dem verkaterten Engel* einen Kaffee servieren. Allerdings liegt oft schon ein autonomer Klogang außerhalb der Möglichkeiten. Aber immer noch besser daheim … und lieber einen Anschiss von den Tauben als zu erblinden.
Jana ist der blonde Engel* in einer Welt letzter Lichtblicke. Sie wischt über die Campingtischplatte in der Mauselochküche eines Zahngoldhändlers, der sich erst spät ruiniert hat; die Tabakdosen aus dem Aldi sind bereits der Gipfel der Selbstbestimmung. Er haust in seinem Trödel wie ein orientalischer Handelsvertreter auf Sansibar im neunzehnten Jahrhundert. Er will wissen, wie Tanja den letzten ‚Tatort‘ überstanden habe.
„In Socken bei einer Flasche Jever“, antwortet Jana, gerührt von dem Wunsch des Alten, senkrecht in die Grube zu steigen.
Interesse bis zum bitteren Ende. Beteiligungen im Millimeterbereich. Die Fadenscheinigkeit von allem und jedem.