Aus der Schreibwerkstatt - Musenzeit bringt sich ins Spiel
Musenzeit: „Es ist ein schöner Flow, der sich da ergeben hat. Ich bin ganz erstaunt und freue mich darüber, was du da so herbeizauberst an den ganzen Figuren & Plot-Ideen. Der Dreh mit der australischen Kolonialisierungsgeschichte als gemeinsames Familienerbe, das die beiden entdecken, finde ich großartig. Ich liebe das Verweben historischer Spuren in Romanen, das erdet die Figuren. Das ‚Upgrade‘ zum Burgtheater birgt prickelnde Spannungen, ich sehe da schon deine Figuren darin agieren ...
Alles weitere später ...
Sehr schön, ok! Da klingen schon so viele Melodien an, die sich ausbreitet ins Feld, fantastisch! Ich fühle mich richtiggehend beschenkt, wie auf einem ‚Fest der Möglichkeiten‘ beim Lesen deiner ozeanisch angehauchten Geschichte.
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Die explizite Szene liest sich wunderschön, darin atmet Mariannes Wesen.
Ein intimer Seelenblick, vielleicht als ein Tagebucheintrag? Marianne gleitet in ihre Leidenschaft und Liebe zu Hannes hinein. Intuitiv weiß sie, würde Hannes sie lieben, wären andere Frauen für ihn als Liebschaften uninteressant. Will er sie so lieben? Darin lässt er sie im Unklaren. Marianne verbindet Liebe nicht mit Eifersucht. Sie vertraut auf ihre Liebesimpulse. Die große Liebe ist für sie etwas, das tief im Innersten als Kraftraum verborgen ist. Ein Goldmeer, das seine Schätze nach und nach freigibt für den, der sich in die Tiefen wagt, der die Kräfte der Elemente umarmen und den Fels im Sandkorn erinnern kann ...“
Weiter in der Geschichte
„Wohin gehst du so im Traum?“
Ihre aufgeheizten, nackten Rücken lehnen aneinander. Hannes öffnet seine Augen, sagt: „Schau, so sind wir janusköpfig.“ Die offene Tür gibt den Blick frei auf ein Durcheinander in dem kleinen Flur von Mariannes Einraumwohnung.
„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“
Hannes will nichts Dummes sagen. Er wendet sich Marianne zu und sie öffnet sich ihm mit reizender Selbstverständlichkeit. Sie beamt sich in die Burgkelter, da fand ihr erstes erotisches Rendezvous mit dem heimlichen Burgherrn statt. Marianne weiß nun, dass Hannes in seinem uferlosen Tagtraum an der Spitze der Burg-Pyramide steht. Unter seiner Konzilianz verbirgt sich ein imperialer Gestus, der sehr wohl mit den Monster-Attitüden und dem Machtwillen des Königs konkurrieren kann. Marianne sieht, was Hannes in der Wundersamen-Burg sieht: einen magischen Raum. Noch nie fühlte sie sich auf diese Weise von einem Mann angezogen. Manchmal glaubt sie, sich in Hannes zu spiegeln; auch verzerrt und verschoben zu spiegeln. Er neckt ihre Brustwarzen und ihre Scheidenwände kontrahieren. Während die Gattung ihr Lied anstimmt, vollzieht sich an einem anderen Ende der Geschichte nicht weniger Erstaunliches.
Musenzeit: „Ja, so wirkt die Szene sehr erotisch und dynamisch zwischen den beiden, schön ist das! Von Janus zu Shiva & Shakti, das sind starke Bilder. Ich mag die ‚reizende Selbstverständlichkeit‘. Das Spiegeln klingt sehr geheimnisvoll. Ich könnte mir vorstellen, die erotisch aufgeladene Verbindung der beiden generell nicht zu deskriptiv-sexuell zu versprachlichen im Verlauf, damit der Eros-Raum weit und offen vibrieren darf. Das macht einen eigenen Reiz aus, regt die Fantasie beim Lesen an, wie sich die beiden wohl im Detail Lust verschaffen in ihrem Reich. Das erregende Gefühl zu erzeugen eines ‘kurz-davor-noch-nicht-jetzt -noch-ein-bisschen-JETZT‘ durch Hinweise und Andeutungen im Verlauf einer expliziten Szene, mit Sprachbildspielen, kleinen Details wie hier... Das könnte als ‚Kontrapunktsprachraum‘ wirken zum Burggelage mit seinem eingeschweißten, königzentrierten Miteinander und der historischen Ereignisse.“
Kesselmann - Sie erinnern sich, ein Ahne des waltenden Kesselmanns - begleitet im ausgehenden 18. Jahrhundert den Jäger Yayan, einmal vermutlich bis zu einem von Weißen kaum gekannten See (Cuddie Springs?) im Norden von New South Wales. Die Lebensweise seines Führers nennt er gemütlich. Kesselmann schreibt: „Fast alles unterwirft Y. seinem Belieben. Mühsames überlässt er seiner Frau.”Es gibt Nahrungsmittelvorschriften, die in ihren Verzweigungen Kesselmann offenbar so kurios erscheinen, dass man seinen Überlieferungen wieder nicht trauen darf. So sei Mädchen der Verzehr von Schlangen verboten, während Jungen keine Jungtiere frisch aus dem Beutel der Mutter essen sollen.Yayan bruncht am liebsten Larven. Er snackt Kakadus, Papageien, Schildkröten, Frösche und Eidechsen. Ab und zu steigt er auf einen Baum, ermutigt von Anzeichen, die sich Kesselmann nicht zu erkennen geben. Yayan zieht dann ein Opossum aus einem hohlen Ast und wirft es mit so viel verwirbelndem Geschick zu Boden, das die Ratte tot ankommt. Den Einwanderern wird er als Wilderer lästig, der lässig in ihre Herden greift, weil der europäische Eigentumsbegriff ihm nichts sagt.
Yayan zeigt Kesselmann einen Lagerplatz mit kultischer Bedeutung. Angeblich handelt es sich um eine Ahnentafel. Kesselmann entdeckt nahe dem Heiligtum Waffen und Werkzeuge, die ihm alt vorkommen. Eine Klinge jubelt er dem Fossilienfund in der Residenz des Gouverneurs unter. Sie beherrscht bis in die Gegenwart das Bild vom durchsetzungsfähigen Steinzeitjäger.
Kesselmann trägt zusammen: Yayan erledigt beinah alles mit einem primitiven Wurfholz, das bei der Beute liegenbleibt. Er zieht diese Waffe dem (technisch anspruchsvollen) Bumerang vor. Bekehrte Landsleute verachtet er, auf Missionsstationen verbreitet er Unruhe. Er steht seiner Ausrottung ohne Absicht im Wege. Arbeiten geht überhaupt nicht.
Die Spanier unterscheiden zwischen Indio manso und Indio salvajes. Yayan kennt den Unterschied, er dient ihm zur Distanzierung von seinen sanftmütigen Landsleuten auf den Missionsstationen. Sie sind Gezähmte, er ist wild. Sie haben vielleicht eine Zukunft, er hat ganz bestimmt keine. Yayan beschreibt sich mit einem negativen Attributionsstil, zeigt dabei jedoch keinerlei Unzufriedenheit. Kesselmann schreibt: „Yayan scheint die Weißen für Werkzeuge einer Zeitumstellung zu halten.“