Musenzeit: „Lieber Jamal, das ‚kulinarische Meer‘-Foto passt so gut zum letzten Satz dieser Episode, es erinnert mich an ‚Salz auf unserer Haut‘. Bretagnie in Berlin also... Fein!“
Jamal: „Liebe Musenzeit, vielen Dank. ‚Salz auf meiner Haut‘ kenne ich nur dem Titel nach. Ich glaube, in der ‚Haut‘-Bemerkung von Heiner Müller steckte Resignation. Vermutlich stand ihm das Klischee-Bouquet alter Mann/junge Frau/späte Ehe/verspätete Vaterschaft schmerzhaft deutlich vor Augen. Es gibt ein Foto von ihm und der letzten Gattin in Bademänteln. Die (gefühlt) post-koitale Sequenz wirkt wie der Abschluss eines Saunagangs. Ich setze diesen Kommentar jetzt auch auf wattpad in die Kommentarspalte. Vielleicht wird daraus auch noch Fließtext.“
Musenzeit: „Lieber Jamal, danke ja, ich kann mir vorstellen, dass dieser Roman dir sicherlich nicht zur Rezension vorgelegt wurde ;-). Er war eine Art Pflichtlektüre unter uns jungen Frauen damals. Endlich mal keine verzweifelte Frauenfigur in der Hauptrolle! Mich lässt die Erinnerung daran an Marianne mit ihren Burg-Frauen denken... - Zu dieser Heiner Müller-Szenerie denke ich mir: Jedem (Liebes-)Tierchen sein Plaisierchen. Und auch ‚drum prüfe, wer sich...‘ - um weitere Klischees-Blümchen in die Runde zu werfen... Klischee-Bouquets sind schnell gebunden, und der unberechenbare Zeitenwind lässt sie auch wieder welken.“
Jamal: „Jetzt habe ich doch noch ein Zitat gefunden: ‚Nicht, dass ich etwas für Sie empfände, es ist die Haut, die sich erinnert.‘ (HM, ‚Quartett‘).“
…
Jamal: „Liebe Musenzeit, ich habe eben eine Leseprobe von ‚Salz auf meiner Haut‘ gekostet. Das ist sehr weit weg von Marianne und Hannes, so wie die beiden sehe. Hannes ist keine Naturgewalt. Es stehen auch keine sozialen Schranken zwischen ihnen. Beide sind Kinder des Mittelstands. Du darfst nicht vergessen, Hannes stammt aus einer bekannten Frankfurter Familie. Er ist Hessischer Filmpreisträger. Die Burg ist ihm heilig. Seine Interpretation der Apfelwein-Gastronomie und ihrer Verzweigungen ist sakral. Marianne nähert sich der Gravitation mit der Vorstellung, da sei nur eine alte Kneipe mit tiefen Kellern. Sie ist schon auch sehr von sich eingenommen.“
Musenzeit: „Lieber Jamal, spannend, dass du das soziale Gefälle dieses Literaturpaares hervorhebst. Das war nicht das, worauf ich im Kommentar anspielte. Ich assoziierte mit dem Buch die Emanzipation der weiblichen Sexualität und Lust in der Literatur. Dass das in dem Roman mit sozialem Gefälle verbunden wurde, hatte den literarischen Reiz eines Romeo & Julia-Effekts. Es spielte ja auch in anderen Zeiten... Ich sehe Marianne & Hannes natürlich nicht als diese Protagonisten.“
Jamal: „Liebe Musenzeit, gut, dann ziehe das zurück. Vielleicht lese ich die Salzhaut-Probe heute noch mal. Ich habe das so gelesen: da sie sozial überlegen ist, kann sie seine körperliche Überlegenheit und die herausgeforderte (heraufgebetene) Dominanz genießen wie einen Urlaub. Man lässt sich von einem Prachtexemplar der Unterschicht überwältigen. Kannst Du damit etwas anfangen?“
Musenzeit: „Lieber Jamal, danke dir für deine Wahrnehmung dieser Passage. Ich finde unseren Austausch darüber sehr aufschlussreich, das betrifft ja generell Frauenfiguren in Geschichten. Ich habe die beiden konkret als Liebespaar seit ihrer Jugend in Erinnerung, das dieses ‚Urlaubsepisodische‘ als Notlösung findet für ihr Liebesglück. Keiner wäre im ‚Land des anderen‘ langfristig glücklich, da ist auf der Liebesebene durchaus eine Gleichwertigkeit. Darüberhinausgehend sehe ich auch noch eine andere Symbolik darin, was Frauen betrifft (dazu habe ich dir gemailt, das macht dann auch die Verbindung zu Marianne und den Frauen der Burg...)“
Feministischer Damenkranz
Babu leert die Papierkörbe in der Künstlergarderobe und im Technikerraum. Er folgt sich verwirrend verzweigenden Spuren eigenmächtiger Handlungen. Die Eingeweihten markieren ihre Bedeutung im System mit Überschreitungszeichen. Rauchen, wo man nicht rauchen darf, und die Kippen da liegenlassen zum Beweis. Bierflaschen und Teller mit angefressenem Zeug aus dem Künstlerkühlschrank überall stehenlassen. Auch mal eine Unterhose auf einer Oberfläche ‚vergessen‘. Finger- und Zehennägel als Nachweis einer müßiggängerischen Phase im Burgdienst. In diesen Räumen sind Ehen, Scheidungen und andere Trennungen verabredet, wenn nicht vollzogen und Trennungsgründe geschaffen worden.
Seit einer Viertelstunde raucht Britta ihre zweite Frühstückszigarette. Eine Trauerweide breitet sich auf Steinen aus, neben dem Unterstand für Fahrräder. Der Unterstand ist eine liebevoll zusammengeschusterte Gernecrossie-Gemeinschaftsproduktion. Der Engländer erscheint mit eingezogenem Kopf. Er ist so groß, dass er immer mit zu niedrigen Rahmen rechnen muss.
„Stink ich nur oder störe ich auch?“, fragt er. Er lernt immer noch Deutsch, nach dreißig Jahren in Frankfurt. Am liebsten lernt er mutierte Sprichwörter. Seine Kinder sind von freiem Wesen, der Engländer ist ein geschickter Pädagoge.
„Heißt es nun richtig Schlechtbabbelei oder Schleichbabbelei?“ fragt er, um mit Babu eine akkurate Gesprächsrunde unter Nachbarn zu drehen.
„Geht beides und kommt darauf an“, antwortet Babu zuvorkommend. Er weiß nicht so genau, was der Engländer in der Burg macht. Aber auch das ist ganz normal. Die engagierte Zivilgesellschaft nutzt die Burg als Gemeindehaus. Hier laufen unglaublich viele Fäden zusammen. Selbst Babu kann nicht behaupten, auch nur annähernd im Bilde zu sein.
Britta sieht verpennt aus, verpennt und gerädert, aber nicht verstimmt. Offensichtlich glüht sie nach. Sie brütet auch etwas aus, was Babu nichts angeht, und bestimmt ist für den feministischen Damenkranz.
Der Engländer schließt sein Stadtrad von einer Stange, er hat schon verstanden. Er sagt Cheers statt Tschö, Britta lacht. Sie schäkert aus der hohlen Hand, aber nicht mit Babu, der so lebt wie eine Schallplatte klingt, die auf einer Rille hängengeblieben ist.
Die Steuerberater von gegenüber hören Queen in Clublautstärke. Babu denkt an den vegan ernährten Hund der Steuerberater. Überall geht es um die Wurst, es riecht auch überall nach Wurst. Die Wurst ist im Nordend (dem Territorium) aufgestiegen zur Metapher - und ein Karnivore kriegt Karotten.