„ich scheiß auf die ordnung der welt", brüllt Brechts Fatzer-Baal. „die elenden von heute sind morgen glücklich". Fatzer repräsentiert das Lustprinzip, „lust baut gebäude aus luft ... ich bin gegen eure mechanische art, der mensch ist kein hebel.“
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Jamal: „Liebe Musenzeit, ich hoffe, du hast das gleiche Vergnügen wie ich, wenn du Marianne im Museum beobachtest, mit diesem stillen Strahlen, der Freude an sich selbst, und der Vorfreude auf Hannes, der sie, ohne es zu ahnen, glühen lässt. Stets erlebt sie sich im Fokus einer fremden Aufmerksamkeit und meistens hebt das ihre Stimmung. Stets erzählt sie sich eine Geschichte. Sie sieht sich selbst dabei zu, wie sie das Foyer durchquert. Das Café liegt hinter einer Glaswand. Da arbeitet ein schmucker Kellner, dem begegnet Marianne gern. Sie weiß schon, was sie zum Kaffee nimmt - Schokosahnetorte.“
Musenzeit: „Lieber Jamal, wie schön - also, jetzt wo du das so vergnügt und vorfreudig beschreibst, da komme ich wieder gut in diese Szene aus dieser Perspektive hinein, ich war dann doch inhaltlich abgelenkt vom vielen ‚Schinken‘ im Text. ;-) Marianne liebt es, im Museum zu spazieren, Kunstwerke zu genießen, sich inspirieren zu lassen... Das Stimmungshebende durch die fremde Aufmerksamkeit gefällt mir auch sehr für Marianne hier, als wohltuende neue Erfahrung.“
Jamal: „Gut, ich war die ganze Zeit im Museum. Du siehst die Schinken, ich sehe Marianne. Wie gesagt, ich kann in erschriebenen Räumen spazieren gehen. Federleicht wie ein Gespenst geselle ich mich dazu. Das Knistern des Stoffs klingt gut in meinen Ohren. Ich habe ihr Parfüm in der Nase. Sie fühlt sich so angenehm und weiß nicht, dass ich sogar auf ihrem Atem surfen kann.“
Musenzeit: „Das klingt sehr poetisch und zauberhaft, wie du das beschreibst, Jamal! Ich sehe dich jetzt so als ‚feiner Geistgeselle‘ bei Marianne, der ahnungslos vorfreudig Vertieften - es lässt mich lächeln. Erschrick' sie nicht so sehr, solche besonderen Begegnungen hat man ja schließlich nicht alle Tage... Ich freue mich, dass dich Marianne surfen lässt. Ich sehe dich gerade mühelos über die Wogen deiner Wortwellen durch deine Räume gleiten.“
lust baut gebäude aus luft
Fatou kreuzt auf. Das Gebiss ihrer Großmutter fand über den Tod der Ahne hinaus Verwendung. Diesen Leuten muss man Recycling nicht erklären. Fatous ursprüngliches Daheim heißt Niodior. Auf der westafrikanisch-atlantischen Fischerinsel lebt man seit Jahrhunderten in Erwartung einer großen Flut.
„Die war doch schon“, sagt Babu nicht zum ersten Mal. Er wiederholt sich gern. Fatou nimmt ihm das nicht übel. Es beruhigt sie, dass Babu keinen höheren Rang in der Burghierarchie beansprucht als sie. Das egalitäre Momentum entspannt auch Winnie, der als Spüler angefangen hat und nun auch schon wieder zwanzig Jahre lang täglich an den Grenzen seines Leistungsvermögens als Koch arbeitet. Um die Selbstüberforderung nicht ins Kraut schießen zu lassen, fängt er lange vor Schichtbeginn an, sich auf den Ausnahmezustand zwischen sechs und neun Uhr abends vorzubereiten. Er brät Kartoffeln und Schnitzel vor. Jeder Koch mit Berufsstolz verdreht die Augen bei vorgebratenen Bratkartoffeln. Im Viertel wissen alle Malocher Bescheid. Doch gibt es beides, Verachtung und Solidarität. Man verachtet den Unfähigen und solidarisiert sich mit dem armen Schwein.
So ein heimliches Bier am Vormittag macht den Kater schläfrig. Das Rezept hat Winnie von seiner Nellie-Oma. Die Eingesessenen sagen Buden-Nellie. Ihr Springbrunnen an der Eckenheimer Landstraße ist eine Institution. Darin verkehren gestandene Säufer und ordentliche Bürger. Nellie-Oma nimmt die guten und die schlechten Dinge im Leben wie das Wetter. Ihrer Ausgeglichenheit grenzt an Gleichgültigkeit.
Fatou hat überall sonst so viel zu tun, dass sie in der Burg auch mal zur Ruhe kommen muss. Der König sieht über die Gepflogenheiten der Reinigungskraft hinweg. Das gehört zur royalen Grandezza. Plötzlich stellt sich Babu die Frage, wie sich Väter fühlen, wenn sie entdecken, dass ihre Töchter in Pornofilmen mitspielen. Fatous Liebhaber kreuzt auf. Natürlich ist Fatou verheiratet. Der Liebhaber strippt am Wochenende in einer Bar. Was es alles gibt. Er erzählt einen abgestandenen Witz. So einer führt sich auch noch beim Minigolf als Global Player auf.
Am späten Nachmittag im Gernegroß
„Sagt einer zum Rollifahrer: steh auf, wir klären das draußen.“
Nasenschweiß notiert sich die unsägliche Schote. Der große Zampano verdaut die Einfälle des frei von Pensionsansprüchen schwadronierenden, um Unterhaltsamkeit stets bemühten Personals in seinen Stücken. Schierer Schwachsinn erscheint ihm am besten geeignet für sein dramatisches Fortkommen. Als Muse wider Willen dient ihm zumal Toni mit ihrer angeborenen Theatralik. Für sie ist alles immer gleich ein ausgemachtes Bubenstück ohne Herzdame. Ihren bonbonesken Tonfall vernehmen Eingeweihte in den Bühnendialogen.
Ein Dialogbeispiel - Tine kann nicht gut rechnen. Sie ist nicht die Einzige mit dieser Schwäche, aber in ihrem Fall wirkt es besonders kurios, weil alles andere erstklassig ist.
„Du dürftest eigentlich gar nicht an einem Tresen arbeiten.“
„Les mathématiques waren noch nie meins. Wenn ich nur an den kahlen Doktor Heuler in der Anstalt denke. Wie der mich verachten konnte“, entgegnet Toni entspannt in ihrem expensive Westwood-Nuttenfummel.
Die Anstalt ist die Musterschule an der Eckenheimer Landstraße. Die Geschöpfe der Gegend sind alle durch diese Schule gegangen.
Toni bietet korrekt bei ‚Bio-Blöd‘ (Gernegroß-Sprech) im Prüfling erstandene Zerealien an, gern würde sie Nasenschweiß erklären, wie es bei Hofe zugeht. Sie wurde vom Godfather of The Bembel zur Apfelweinkönigin für alle Zeit bestimmt, nach einer kollektiven Kotzerei erster Güte im Gernegroß-Garten. Godfather of The Bembel ist Babu.
Nasenschweiß fasst sich an seinen feuchten Schädel. „Godfather of The Bembel: wo nimmt diese Abart das her?“
„Abart“ ist nicht nur Toni neu.
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Ein Zwunsch (Gernegroß-Sprech) stellt sich als promovierter Umwelttechniker bei Continental-Teves in Rödelheim vor. Er ist wegen Tine am Start. Sie lässt ihn unauffällig auflaufen. Er unterhält die Eingeweihten mit einem Vortrag über automatische Blockierverhinderer. „Jedes dritte Auto“ wird in Deutschland von ihm persönlich ausgerüstet. Zwunsch trägt Flipflops, für Nasenschweiß sind Flipflops die Vorstufe zum Faschismus. Sein Horror vor männlichen Fußnägeln verbietet ihm jedes Schwimmbad.
„Ich liebe alle Luftzeichen“, sagt Britta auch nicht zum ersten Mal. Britta ist Steinbock, hält sich aber für eine Waage und liest auch nur Waage-Horoskope. An Ereignisse erinnert sie sich, indem sie sich vergegenwärtigt, was sie am Ereignistag anhatte. Sie erinnert sich sogar an den Schnitt ihres Taufkleides. Britta belädt einen Kanten mit Räucherlachs, Pfeffersalami und Büffelkäse aus dem Künstlerkühlschrank - eine Zusammenstellung wie für einen perversen Pizzabelag. Tine wird schlecht vom Zusehen. Jedenfalls behauptet sie das.