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2024-12-14 20:46:35, Jamal

„‘Triumph des Gramms‘ - eine philosophische Destillation bis hin zur Essenz. So eindringlich schön liest sich das! ‚Die Letzten werden die Ersten sein‘.“ Musenzeit

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Ich sehe ihn noch, mit seinem faltigen Kindergesicht, sinnlos zufrieden, später, als es zu Ende ging, erstarrend zu der mürrischen Grimasse eines abgeschminkten Spaßmachers, ihn, meinen Großvater, sächsischer Arbeiter, gestorben 1946, fünfundsiebzig Jahre alt, ungeduldig, an den Folgen der Geduld.“ Heiner Müller

Koksen nicht kleckern

Buffet-Kurt beobachtet die Querflötistin. Seit Tagen nutzt sie das kleine Kolosseum im Glauburgpark als Bühne. Kurt hält sie für eine Japanerin. Er glaubt nicht, dass sie das Spielgeld nötig hat. Sie sieht nicht so aus, findet Kurt. In ihrer Rolle verschmilzt sie mit den Erscheinungen des täglichen Verlaufs.

Shape, Shine, Silhouette, Shadow, Spacing … manche täuschen mit Wespenwarntrachtfarben eine Gefährlichkeit vor, die sie nicht haben. Andere erscheinen so vegetarisch wie Ringelblumen, sind aber Fleischfresser. Skyliner vergrößern ihre Silhouette, um besonders ungebremst und zwanglos zu wirken. Menschliche Skyliner simulieren oft einen Kunstwahn. Die Täuschung erlaubt es ihnen, als Kulturschaffende durchzugehen und nachts in Kneipen zu versacken. Skyliner ist ein Wort aus Kurts verschwörungstheoretischen Grundstock. Skyliner müssen nicht tagein, tagaus im Schweiße ihres Bleichgesichts buckeln, so wie Kurt. Als geborener Tagelöhner und Handlanger erlebt er die Selbständigkeit in seinem Wurstwagen, einem aufgebockten Hänger aus Geros Fuhrpark, als Aufstieg in die Liga der Geschäftsführer im Nordend; mithin jener, die den Unterschied zwischen Brutto und Netto kennen sollten und ihren Rang mit kostspieligem Drogenkonsum untermauern.

Koksen nicht kleckern.

Soweit wird Kurt nie kommen. Koks ist nicht sein Bier. Die Vorsicht rät ihm von jedem Exzess ab. Er geht unter der Hand durch als jemand, dem man Schlüssel anvertrauen kann. Zuverlässig, worttreu, ein guter Arbeiter. Das sagen die einen. Andere sagen das Gegenteil. Das ist in jedem Fall so. Einigkeit herrscht nie. Die üble Nachrede gehört zum guten Ton.

Woran erkennt man dann aber, wo einer steht im Gefüge des Stadtteils? Ob er taugt nach den Maßstäben der heimlichen Hausmeister und stillen Teilhaber. Fragen wir Karolin Freiburg. Im Nordend geboren vor siebenundvierzig Jahren als Tochter einer Studienrätin und eines Regierungsrats. Abgestiegen bis ganz nach unten zu den Mäusen im Keller, wo greinend vergreisende Babyboomer sich fragen, wie es so weit kommen konnte mit ihnen, da sie doch alle so furios gestartet sind. Im ersten Höllenkreis des Begreifens wehklagen vierzigjährige Küchenhelfer, die bis gestern beinah noch immatrikuliert waren. Böse Welt. Leute, die den Beinahs bestimmt nicht das Wasser reichen können, kommandieren sie herum und zahlen sie nach Gutdünken aus. Die Geschäftsführer behandeln jeden schlecht, dessen Schichtlohn von ihrer Laune abhängt. Ob sie so einem zehn, zwanzig, dreißig Euro mehr oder weniger in die Hand drücken, könnte ihnen egal sein. Aber das ist es nicht. Das unverdrossene Abstrafen der Nieten, Lappen, Lauen, Laschen, Lahmen, Lümmel und Lumpen zählt zu den Pflichten der Bestimmer. Das gehört zum Ritus. Kurts Stellung im Quartier beweist sich da, wo man es angebracht findet, ihn nicht übers Ohr zu hauen, sondern ihm seinen Teil auszuhändigen. Seinen Teil erhält grundsätzlich jeder, dem man zutraut, Mittel und Wege zu kennen, die eigenen Interessen zu wahren.    

Der Mittel gibt es viele. Noch zu D-Markzeiten bekam Karolin einen deutlich höheren Stundenlohn als jeder Kollege, da sie sich im Kabinett der Burgschänke, mit dem seit ewigen Zeiten offenstehenden, der Legende nach von Stammgästen aufgesprengten Tresor, so ausgiebig umzog, dass der König sich ausreichend als der Einäugige unter den Blinden gewürdigt fand. Obwohl alle mit den Verhältnissen Vertrauten die eher not- als machtgeilen Winkelzüge des verstockten Dynasten kennen, sind sich einige aus dem Mittelfeld nicht zu schade, Kurts Aufmerksamkeit in ihre Bahnen zu lenken. Kurt besitzt im Übermaß, was allgemein knapp war. Vor allem jedoch riegeln ihn keine ständischen Barrieren ab. Als Herr über tausend Quadratmeter Wohnfläche und Eigentümer von unfassbar wertvollem, gleichwohl verseuchtem Grund und Boden muss er ununterbrochen volkstümlich wirtschaften, Klempner, Fliesenleger und Elektriker schmieren. 

Hatte Karolin in ihren guten Jahren ihr Stück von König Kurts Kuchen eingesackt, geschah es so selten nicht, dass sie im ursprünglichen Café läuft oder im Backstage oder in Masouds Trinkhalle einem Mann von Buffet-Kurts Schlag den Vorzug vor einem Alleingang nach Hause gab. Gewissermaßen nur um seiner und ihrer selbst willen. Weil man sich gefiel und so wie zwei Grießklöße in einer Suppe schwamm. Das ist lange her.