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2024-12-17 10:06:31, Jamal

„Lieber Jamal, guten Morgen nochmal hier. Danke für die neuen Versionen und Hinweise, ich war zu müde gestern Abend.

Es sind feine Elemente und Ideen in der Episode dabei, die ich heute Morgen schon kurz kommentiert habe. Dein Ansatz, durch diese Geschichte zu gehen mit Wegweisern, gefällt mir. Es hat etwas von einem kontemplativen Dasein.

Heute erfordert mein Körper erhöhte Aufmerksamkeit und etwas mehr Rückzug, daher wird es ruhiger. Meine Träume letzte Nacht waren sehr bildbeladen und unruhig, ich kann dir daraus leider noch nichts speziell für Marianne zurückmelden, vielleicht erscheint im Verlauf des Vormittags noch etwas Tragbares. Vielleicht wäre das aber auch gerade das etwas, was auch brauchbar für die Story-Entwicklung wäre. Eine Einheit mit Zeit für schlichte Aufmerksamkeit, die Signale und Bedürfnisse des Körpers ohne Bewertungen wahrzunehmen und alles liebevoll anzunehmen, was da ist. Ein Bodyscan im Texttraum?“ Musenzeit

Der erste Bloom's Day

„Der Tag war bezaubernd", heißt es lapidar am Morgen des 16. Junis 1904. Leopold Bloom erforscht sein Revier und denkt sich seinen Teil zu jedem Detail des Alltagsparcours. Er bemerkt die dünnen Socken und schiefen Knöchel eines Geistlichen, von dem ihn das Glaubensbekenntnis vor allem trennt. Trotzdem kennt Bloom die Formeln, die im katholischen Irland so beiläufig aufgeblasen werden wie Kaugummis. Die Liturgie als Litanei.

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„Lieber Jamal, guten Morgen nochmal hier. Danke für die neuen Versionen und Hinweise, ich war zu müde gestern Abend.

Es sind feine Elemente und Ideen in der Episode dabei, die ich heute Morgen schon kurz kommentiert habe. Dein Ansatz, durch diese Geschichte zu gehen mit Wegweisern, gefällt mir. Es hat etwas von einem kontemplativen Dasein.

Heute erfordert mein Körper erhöhte Aufmerksamkeit und etwas mehr Rückzug, daher wird es ruhiger. Meine Träume letzte Nacht waren sehr bildbeladen und unruhig, ich kann dir daraus leider noch nichts speziell für Marianne zurückmelden, vielleicht erscheint im Verlauf des Vormittags noch etwas Tragbares. Vielleicht wäre das aber auch gerade das etwas, was auch brauchbar für die Story-Entwicklung wäre. Eine Einheit mit Zeit für schlichte Aufmerksamkeit, die Signale und Bedürfnisse des Körpers ohne Bewertungen wahrzunehmen und alles liebevoll anzunehmen, was da ist. Ein Bodyscan im Texttraum?" Musenzeit

Eine Geschichte am Rand

Das Einfachste vom Einfachsten ist von Anfang an gut genug für Jade. Trotzdem hat auch ihre Familie eine Reise zum Mond vor, indem sie die begabteste Tochter Abitur machen lässt. Jade genügt den Einstiegsanforderungen von drei Universitäten, aber nur in ... entstehen für die Eltern keine weiteren Kosten.

Die Verhältnisse zeigen alle Facetten einer institutionalisierten Ungerechtigkeit, auf der in Hohnlettern Chancengleichheit steht. In überfüllten Hörsälen begreift Jade, dass ihr Ziel der Weg zum Studium war; dass sie allein auf dieser Strecke den größtmöglichen sozialen Abstand zu ihrer Herkunft gewonnen hat. Auch ihr Bruder steigt nach dem ersten Semester wieder aus und deklassiert sich als Küchenhelfer in der Burgschänke.

Jade sammelt Enttäuschungen, bis sie die Partystudentin und Möchtegern-Schriftstellerin Ariane als Putzkolonnenkollegin kennenlernt. Bei der ersten Begegnung schiebt Jade einen Putzmitteltransporter über Gänge, während Ariane einen Schrubber demonstrativ arbeitsverweigernd handhabt. Das ist als Ouvertüre natürlich etwas anderes als ein Flirt an der Bar. Beide teilen die Herkunftsscham, ohne sie wahrhaben zu wollen.

Aus der Kommentarspalte 

Jamal: „Die beiden schlagen Purzelbäume des verdoppelten Eigensinns im Textland.“

Musenzeit: „Sehr schön! :-)“

Zurück auf die Hauptspur

Die U5 sinkt in den Tunnel unter dem Cityring. Ein Auto fährt durch eine Pfütze. Hannes denkt an einen Film, den er vor zehn Jahren zum letzten Mal gesehen habe. Der Titel ist ihm entfallen. Er ist zufrieden bei der Betrachtung eines Mittelstreifens.  

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Hannes begeht seine Wohnung. Wir hören das knarrende Parkett. Die Flügeltüren schwingen lautlos. Hannes schlägt eine ungelesene Seite in einer 1712 publizierten Geschichte der Stadt Frankfurt um. Der Foliant liegt auf einem antiken Stehpult aus, wie für Publikumsverkehr. Hannes existiert vor einem Auditorium, das seine innere Bühne bevölkert. Er fühlt sich stets wie in einer wohlwollenden Öffentlichkeit. Sogar beim Sex wendet er sich mitunter an die Gesellschaft. Nun nimmt er sich die Zeit, Folgendes zu bedenken: 

Ein klassischer Grieche hatte für Arbeit nur Verachtung übrig, und zur Arbeit gehörte auch die Kunst. Während spätere Menschen in den lichten Jahrhunderten die Kunst der Antike als das Maß aller Dinge ansahen und im Künstler eher das Genie als den Handwerker feierten, war den Idealisierten die Spezialisierung, die jede Kunst erfordert, zuwider. Der freie Mensch war kein Spezialist. Er strengte sich nicht an, außer im Sport und im Krieg. Musiker, Dichter und Bildhauer trugen als Dienstleister zum Komfort bei. Sie wurden zu den Spießbürgern gezählt, die das vollkommene Dasein im Zustand der Kalokagathie unweigerlich verpassten.

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Hannes begeht seinen Balkon. Neben ihm wohnt Britta. Sie macht sich rar, die Gewichte im Haus verteilen sich neu. Die auf der richtigen Frankfurter Seite Geborene kann sich nun vorstellen, mit ihrem Liebhaber in den Wetterauer Speckgürtel zu ziehen, es geschehen noch Zeichen und Wunder. Brittas Ablehnung der Neumieterinnen ist ein Inferioritätsprodukt. Die Britinnen stellen alle in den Schatten, immer sind alle eingeladen. Sie veranstalten Pyjama-Partys im Treppenhaus und tränken die Treppenhausgewächse mit ihren Getränken.

Sie lassen Gläser auf der Treppe stehen. Sie baden und staubsaugen in frühen Morgenstunden. In ihren Kreisen sind sie Celebrities. Das Fernsehen war schon da. 

Hannes im Hof 

Er schraubt den Schlauch vom Hofhahn, es sind schon Sachen weggekommen in diesem Mittelstandsfuriosum. Raketen der Begeisterung steigen in den Himmel über der Rotlintstraße, Hannes rollt den Schlauch an seinen Platz zusammen, Karolin wohnt jetzt in seinem Keller. Sie nennt den Verschlag Souterrain, er gleicht einer Nonnenzelle in Hannes' Wahrnehmung. Karolin duscht in Hannes' Wohnung. Er würde ihr gern den Waschraum im Panoramabad empfehlen, er weiß nicht, was ihn davon abhält. Das öffentliche Bad auf dem Merianplatz wäre auch eine Möglichkeit. Karolin ist vorläufig endgültig im Keller eingezogen. Marianne rät zum Albtraum professionelle Hilfe. Vermutlich wäre sie in einer anderen Ausgabe Ärztin. Im Weiteren ist Karolin bloß eine Wegelagerin am Rand ihrer Interessen. 

Hannes geht wieder spazieren

Ozonwerte vor neuem Rekord. Mit Containern, Stein- und Schutthaufen wurde eine Kreuzung aus dem Verkehr gezogen. Die Baustelle sieht aus wie ein Feldlager. Wir laufen durch Gassen einer Budenstadt, an deren Jahrmarktsrändern ein Dorf aus gestapelten Blechschachteln liegt. Auf Trampelpfaden gelangt man dahin und hinein über verwinkelte Treppen, die an Rundstiegen alter Häuser erinnern. Greise schnüren am Krach vorbei. Vielleicht ist der Krach die Musik ihres Lebens.

Zwischen niedergemachten Düsen und flachgetretenen Kippen langweilen sich Kartenspieler. Fahrzeugschnauzen fressen sich von allen Seiten in den Betrieb. Das Vorhaben ruft Spezialisten in Kitteln auf den Plan. Auch solche, die es sich erlauben können, mit schlappen Hütchen und in kurzen Hosen ganz leger zu erscheinen.

Überall liegt vom Alten noch. Aufgerissene Asphaltdecken, abgetragenes Kopfsteinpflaster, gesprengte Mauern.

Querschnitte und Balkeneskapismus.

Ein funktionsbefreites Verkehrsschild steht einsam wie ein stehengelassener Baum.