„Schon allein der Anfang deiner Geschichte verzaubert mich. Ein wunderbar tiefer Text. Da hat dich die Muse geküsst. Ich hab ihn gleich nochmals gelesen.“ Irene W. auf story.one
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„Lieber Jamal, wunderbare Episoden, ich bin noch beschäftigt mit vielen Themen daraus, eine Schatzkiste - dankeschön! Ich freue mich, dass die Story1-Community auch langsam anfängt mehr zu kommentieren in Resonanz, du hast so kraftvoll wirkende Räume gestaltet. Ich bleibe da jetzt mal etwas im Hintergrund. Manchmal vergesse ich, dass wir uns nur lesend kennen, es ist, als ob wir uns auf einem langen Spaziergang unterhalten. Sinnliche Briefe zu schreiben ist etwas sehr kraftvoll Belebendes, ja. Eros in eine Wortform fließen lassen ist etwas Wunderschönes als Prozess.“ Musenzeit
Schminkkasten der Zivilisation
Wieder fällt Jana fällt auf, wie schön die Martin-Luther-Straße dort ist, wo sie von der Rohrbachstraße wie das Pluszeichen von der Waagerechten gepfählt wird. An der Stelle liegt einerseits ein Getränkemarkt und andererseits ein Blumenladen und die kleine irische Kneipe mit dem gälischen Namen ... An Teach Dingsbums ... in der sie auf den Geschmack irischer Whiskeys gebracht wurde. Man muss nur um die Ecke, um ein großes altes Straßenbahnschild über der Rohrbachstraße leuchten zu sehen.
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„Auf dem Beruf des Apfelweinwirts ruht kein Segen", sagte der König.
Wieder hatte sich ein millionenschwerer Gastronom umgebracht. Thermischer Aufruhr reißt die Leute sprunghaft von den Gassen in ihre Bauten. Als triebe die Gattung sich immer noch in Savannen herum, aufrecht erst seit gestern. Das Massenphänomen rennt in geschlossene Räume, die Gegenspieler ziehen sich im Regen aus. Vor den Inseln unentwegter Bereitstellung klappen Bänke hoch. Wetterfeste suchen Einfahrten auf.
Rollkoffer verstummen. Balkone entvölkern sich. Der Zufall ist den Liebenden günstig, schreibt Balzac. Marianne und Rouven ...
Marianne erschien mir mit ihrer Tochter, beide tragen leichte Sommerkleider. Sie durchwandern eine blühende Sommerwiese, dabei geht Clara-Sophia voraus, sie ist etwa 4 Jahre alt. Die beiden wirken glücklich zusammen. Am anderen Ende der Wiese steht im Gegenlicht ein dunkel gekleideten Mann, der ihnen zugewandt ist. Zwischen ihm und Marianne ist eine liebesdurchtränkte Harmonie und unbedingtes Vertrauen spürbar. Mir zeigt sich die Szene wie eine Art bewegter Filmstreifen, sie steht links, er rechts, und Clara-Sophia ist zwischen ihnen auf der Wiese unterwegs. Marianne und ihre Tochter gesehen von Musenzeit
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Gemütlich ist gut. Gemütlich sind Pfannkuchen, schön mit Puderzucker, und Karolin erzählt dazu, wie der Puderzucker mit einem kleinen Löffel durch das Sieb gerührt wurde, im Damals einer gemeinsamen Nordendkindheit. Und wo das Sieb gekauft worden war. Ob es das Geschäft noch gibt oder was an die Stelle des Geschäfts getreten ist.
Karolin dekoriert das antike Wohnzimmerbuffet mit dem Waschgeschirr und die Bettpfanne einer Kesselmann-Oma; Vorkriegsemaille, angeschlagen, aber funktionstüchtig. Sie liebt die alten Sachen, in denen die Kesselmanns von jeher zuhause sind.
Hätten wir das nicht schon früher haben können?, fragt sich Hannes, der Karolin in seinem Großelternhaus untergebracht hat. Karolin tropft vor Dankbarkeit, sie spricht laut mit sich. Sie ist lächerlich schnell beleidigt und beschämt.
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Jassir hat das Schlafzimmerfenster in Janas Einraumwohnung beim Kippen aus dem Rahmen gerissen. Manche Drogen nimmt er heimlich, das ist nicht gut. Jana sehnt sich beruflich nach ihren Greisen und den Dinosauriern im Senckenberg Museum, wo sie nun auch noch als Aufsicht jobbt. Sie sehnt sich nach einer Kombination von Tageslicht und Routine. Die vielen Arbeitsabende in der Burgschänke fressen breite Löcher in sämtliche Kontingente. Eine Kälte wie vom Mond lässt sich nicht mehr abhalten.
Jana kann John Denver nicht mehr hören. Jassir schon. Er verbraucht die Beziehung wie einen nicht sonderlich großen Lottogewinn. Jana fehlt Zeit für sich, ihren Rechner fährt sie überhaupt nicht mehr hoch. Sie hängt Wäsche in der Küche auf, deshalb soll in der Wohnung nicht geraucht werden. Jassir hält Janas Wunsch für Terror. Jana will ihn kastrieren, wenn sie ihm das Rauchen in ihren eigenen vier Wänden verbietet. Auf dem Balkon kommt er sich „stigmatisiert" vor. Er spricht anspruchsvolle Wörter mit Verachtung aus, seine Bildung bleibt ihm suspekt. Er hat für seine Vorsprünge Dresche bezogen, der bäurische Vater hielt für Elitewissen einen Stock im schmiedeeisernen Schirmständer parat. Auch der König plädiert für eine Rehabilitation der Prügelstrafe für seine Untertanen.
Man muss den Menschen sehen hinter jedem Idioten, sagt sich Jana jeden Tag. Das ist ihre Devise, seit ein Onkel, der als Friedhofsgärtner ein merkwürdig freies Leben hatte, Jana den Unterschied zwischen Gras und Shit beigebracht hat. Jassir kommt mit der Zigarette, gedreht aus Janas Tabak, in die Küche. Mein Wille ist ein Pups im Abendwind, denkt Jana, keineswegs verzweifelt. Man gewinnt sein Leben an den Kanten, wo der Buddhismus aufhört. Entweder rumpelt man dann mit dem Sherman seines Gemüts in die Offensive oder man erkennt, das nicht zu können.
„Schieb ab", sagt Jana - und Jassir sagt: „Lara wartet schon."
Zwei Wochen später - Aus Janas Aufzeichnungen
Jassir ist wieder da und so liebevoll wie nie zuvor. Er suggeriert eine Zartheit des Gefühls, die es gar nicht gibt für so einen Halunken aus Haltlosigkeit, der in diesem Frankfurter Nordend höchstens einen Duldungsstatus hat. Ich erwarte nicht viel von einem Mann. Es muss möglich sein, neben ihm zufrieden einzuschlafen.
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Auf dem Herd kocht das Teewasser, der Wasserkocher steckt abgewrackt im ungetrennten Müll. Früher waren Wasserkocher Tauchsieder. Wo sind sie geblieben? Jassirs Lust beschränkte sich auf die Freude an einem Rest von Teewurst. Vielleicht doch besser wieder einen Hund. Die Teewurst aus dem Rewe in der Nordendstraße. Wie Halbaffen hingen die Typen aus der Fachhochschule auf Einkaufswagen. Mit einem Hund aufs Land, Richtung freie Wildbahn. Die Teewurst nur Jassir zuliebe, der schon in der Küche zu schnarchen anfing. Vorsichtshalber nahm ich eine Tablette. Im Schminkkasten der Zivilisation fand ich noch die Liebenswürdigkeit, Jassir ins Bett zu zerren. Das war bestimmt das letzte Mal.
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Wie eine Trebegängerin pausiere ich beim Glascontainer an der Eckenheimer Landstraße. Ich überlasse mich meinem Gefühl von Fremdheit. Ich werde in Frankfurt nie ankommen. Mein Glück balanciert auf der Wasserkante. Der Ehrgeiz junger Mütter, die aus dem Bio-Basic pulsen, als wäre der Tod abgeschafft oder bloß ein abgeschmackter Theatereinfall von Norbert Nasenschweiß, perforiert mich. Ich könnte mir Tabak an Wielands Wasserhäuschen kaufen, eine Zeitung vielleicht auch. Ich wende mich aber wie ferngesteuert der Burg zu, Jassir wird schon betrunken sein.
„Hast du es dir überlegt?", fragt der König. Er trägt einen Gürtel mit einer Schnalle, auf die der texanische Lone Star eingraviert ist.
Bis eben war ich entschlossen abzulehnen, doch zu meiner eigenen Überraschung höre ich mich sagen: „Wenn das Angebot noch steht, nehme ich es dankbar an."
Kurt kichert. Er hat mir eine Wohnung in der Burg angeboten, größer und billiger als alles, was ich je meine Wohnung nennen durfte. Es war doch stets nur ein Campieren in Provisorien. Das bloße Hausen hat hiermit ein Ende. Die Wohnung hat Parkett, Flügeltüren und einen Lastenaufzug, der einst mit der Küche der Burgschänke verbunden war.
Es spricht der Burggeist - Ich langweile euch jetzt nicht mit den Bedingungen, die an den Deal geknüpft sind. Umsonst ist der Tod noch nicht mal nicht, kostet er doch das Leben. Der König verfolgt einen perfiden Plan, und so wie es aussieht, geht ihm Jana vollständig auf den Leim.