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2024-12-25 13:41:45, Jamal

Wir wissen es nicht genau - träumt Cosmo Caruso oder befindet er sich auf einem Trip in die Zukunft.

Im Zeugenschutzprogramm

Heute Morgen wurde ich im Zeugenschutzprogramm aufgenommen. Burroughs selbst sprach mir Mut zu. Der Ritter ist höchstens dreißig und seine Leibwächter sind noch jünger. Sie überrollten mich wie eine Welle und dann schien es nichts anderes mehr zu geben als ihre Präsenz. Burroughs ehrte mich mit einem Vortrag. Ich fühlte mich wie ein Schuhputzjunge auf dem Sessel des Weltbankpräsidenten. Er las aus der Zeitung vor, um mir die Lage klarzumachen. Am Leben zu bleiben sei für mich keine Privatangelegenheit mehr. Burroughs riet zu ausgewogener Ernährung. Er sprach von Liebe. Immer wieder fasste er mich scharf ins Auge. Als er endlich aufbrach, hielt ich es einen Moment lang für möglich, dass er mir die Hand reichen könnte. Er muss im Verlauf des Vormittags im Haus gewütet haben. Das Fußvolk ist bedrückt, ich sehe Blessierte.

Man hat mich in die zwölfte Etage gebracht, die fast vollständig ausgeräumt ist. Vergammelte Geräte liegen herum. … und Verpackungen, zu denen sich Staubflocken gesetzt haben. Ich entspanne mich mit Alexandertechnik.

Zum Glück bleibt Larissa für meine Erinnerungsarbeit zuständig. Ich verschaffe ihr einen Eindruck meiner Verfassung in den letzten vierundzwanzig Stunden. Larissa findet, dass mich Burroughs‘ Auftritt zu sehr beeindruckt hat, um weiter zurückzugehen.

„Burroughs erscheint mir wie ein Gott“, sage ich. „Ich empfinde es so: was irdisch ist, kann ihm nichts anhaben. Er könnte auch ein Alien sein, nach meinen Begriffen … jemand, der seine Gestalt wechseln kann.“

„Hältst du es für möglich, dass er jetzt in meiner Gestalt vor dir steht?“ fragt Larissa.

„Nein“, entgegne ich, „du bist zu menschlich.“ Wie ich es gelernt habe, arbeite ich an dieser Einschätzung, mit dem Ziel, einen höheren Präzisionsgrad zu erreichen. „Du bist zu fleischlich.“

Larissa ermutigt mich: „Sag genau, was du empfindest.“

„Das möchtest du nicht wissen.“

„Ich bin dir aber angenehm“, sagt Larissa. Sie gehört zum spanischen Block und ist dem Terrorismus mit ihrem Leben verbunden.

Ich will eine Auszeit … mich ein wenig im Raum bewegen. Außer Atem kommen. Larissa ruft einen Ermittler. Er spielt mit mir, bis ich es leid bin. Mein Hemd klebt am Rücken, ich würde mich ohne Hemd wohler fühlen.

Ich betrachte den Himmel.

Man hat mich in der achten Etage untergebracht. Die Räume sind so zweckmäßig eingerichtet wie ein Regierungsbunker. Meine Versorgung verläuft reibungslos. Mir fehlt nichts. Nach dem Abendessen besucht mich der Priester. Er kennt mich in meiner Todesangst. Der Priester kam schon zu mir, als ich noch im Keller vernommen wurde. Nach zwei Jahren im Untergrund hatte ich Burroughs‘ Ermittlern nichts entgegenzusetzen. Als ich aufgegriffen wurde, war ich fast verhungert. Ich hätte erfrieren können in dem Loch, das mein letztes Versteck war. Ich war so erledigt, dass ich für eine vollständige Mahlzeit sofort alles gesagt hätte. An die Widerstandskraft meiner so genannten Glaubensbrüder gewöhnt, wurde erst gar nicht versucht, im ausgleichenden Gespräch Erkenntnisse zu gewinnen. Man fasste mich so an, dass ich von einer Ohnmacht in die nächste fiel. In den Zwischenzeiten muss ich mich in einer Art Delirium befunden haben, in einem in jeder Hinsicht unergiebigen Zustand. Vielleicht sorgte der Priester dafür, dass man mich einmal ausschlafen ließ. Als ich aufwachte, waren meine Wunden verbunden.

Ich wurde in einen Raum über der Erde verlegt. Unter meinen Augen verwandelte man ihn in ein Krankenzimmer. Nonnen richteten mich auf. Sie sprachen wenig und vage. Einmal am Tag kam der Priester, um sich die Erzählung meines Lebens anzuhören. Er schien keine dokumentarischen Interessen zu verfolgen. Ich nahm ihn als einen Mann ohne Argwohn wahr. Nach einer Weile begann Larissa mir Gesellschaft zu leisten. Ich begriff nicht gleich, dass mir ihre Zeit unbegrenzt zur Verfügung steht. Ich hielt mich für einen zum Tod Verurteilten, der mit Redseligkeit den Vollstreckungstermin hinauszögert. Also fing ich noch einmal von vorn an, meine Geschichte zu erzählen, und niemand erhob Einwände.

Mit Erfindungen machte ich mich interessant. Ich konnte mein Glück nicht begreifen.

Eines Tages bekam ich meine Geschichte schriftlich. Die Niederschrift bestürzte mich wegen ihrer Belanglosigkeit.

Der Priester verhehlt dem Dummkopf seine Bildung. Ich weiß nicht, in wie vielen Sprachen er mir klar machen könnte, dass ich mein Leben an lauter Nichtigkeiten weggebe. Er weiß so gut wie ich, dass ich ein Mann ohne Glauben bin. Nie konnte auch nur eine entschiedene Ansicht in mir Gestalt annehmen. Ich laviere. Das breite ich, wie an jedem Abend, vor dem Priester aus. Ich war immer schon haltlos, von mir eingenommen und leicht zu kränken. In meinen mittleren Jahren gesellt sich Kraftlosigkeit zu allen Übeln.

Der Priester bricht auf. Ein Wärter bringt Tee. Ich bitte ihn, mir den Witz des Tages zu erzählen. Er ist dazu nicht bereit.

Das Ziel der Erinnerungsarbeit ist meine Läuterung. Meine guten Absichten kann ich mit Hinweisen auf den Verbleib des Mannes beweisen, der Burroughs‘ Vorvorgänger umbringen ließ. In seiner Organisation spielt er die gleiche Rolle wie Burroughs bei den Kreuzrittern des Einundzwanzigsten Jahrhunderts. Er hat viele Namen und ein hohes Alter. Ich machte für ihn Besorgungen auf allen Kontinenten.

Man roch die Macht am Kurier. Ich roch sie selbst und fühlte mich erhoben. Zeitweise fuhr ich einen schwarzen Ferrari. Der Name meines Herrn garantierte Vorzüge, die einen Fürsten zufrieden gestellt hätten.

„Zu sterben ist für ihn leicht“, sage ich zu Larissa, die bereits in der Bewusstlosigkeit ihrer Adoleszenz tötete. Larissa will, dass ich mich auf eine Weise erinnere, die mich durchlässig macht für alle Erfahrungen. Sie sind das Erz am Nugget der Erkenntnis.

Obwohl ich seit meiner Geburt in keinem Krankenhaus mehr war, kommt es mir so vor, als hätte ich mein Leben in Krankenhäusern verbracht. Ich entgehe jedem Gedanken mit Bewegungen. Ich will mich leicht fühlen.

Man bringt mir Obstsalat. In meinen besten Zeiten hatte ich immer nur Champagner im Haus.

Ich gehe im Anzug zu Tisch. Larissa fragt: „Zweifelst du an der Liebe deiner Mutter zu dir.“

Die Möglichkeit, nie geliebt worden zu sein, öffnet den Raum für Spekulationen über die Wahrheit. Was bedeutet sie dann noch? Wenn man an keinen Menschen gebunden ist, sagt einem die Wahrheit nicht viel. 

Es fällt mir schwer zu sagen: „Ich glaube, dass meine Mutter mich gebraucht hat, und dass wir beide das hoch veranschlagt haben. Man ist schon als Kind an dieser Art der Wertschöpfung beteiligt.“

Larissa fragt: „Bleibst du dabei, dass der alte Mann reinen Herzens handelt. Dass er mit seinen Gefolgsleuten stirbt und nicht vielmehr sie für ihn sterben, für seinen Greisengeiz?“

Larissa möchte, dass ich meinen Verrat bis in die Poren hinein als Wohltat erlebe. Meine Poren sollen sich dem Verrat öffnen.