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2025-01-08 15:29:43, Jamal

Hypertrophie

Andy Warhol wächst in einer Blase von Außenseitern auf, die sich mit einem unspezifischen Wir absetzen. Der landsmannschaftliche Plural entspricht in Pittsburgh einer nachbarschaftlichen Regel. Doch anders als ungarische und italienische Einwanderer haben Warhols ruthenisch-slowakische Eltern keinen kulturellen Fundus, der über typisch ruthenisch bemalte Ostereier hinaus auf eine besondere Herkunft verweist. Ein Anderssein im Nicht-Besonderen ist vielmehr die Signatur dieser Migration. Warhol reagiert darauf mit dem Kurzschluss der Ignoranz und erklärt sich zum totalen Amerikaner.

Als Kind durchläuft er Stadien eines sanften Aufstiegs. Mit unbändiger Kraft boxt sich sein Vater in den Arbeitermittelstand. Er requiriert förmlich eine Doppelhaushälfte im Rahmen immer wieder dramatisch scheiternder sozialer Expansionen. Er hält nicht inne, auch als ihn die große Depression von und nach 1929 wirtschaftlich lähmt. Er repariert die Schuhe seiner Kinder. Schleift Böden ab. Kratzt Tapeten von den Wänden. Kurz, der Mann fightet um sein Stück vom amerikanischen Traumkuchen.

Sparsamkeit ist ein Kampfmittel. Warhol wird sich auch als erfolgreicher Künstler für die Geiztricks des Vaters nicht zu schade sein.

Zitate aus Blake Gopniks Biografie „Warhol. Ein Leben als Kunst“

Warhol wächst in einer Gemeinde auf, die an einer byzantinisch-katholischen „Karpatenkirche“ haftet und sich – zumindest in der gläubigen Wahrnehmung – im Gebet konstituiert. Man singt „kirchenslawisch“. Verheiratete Priester walten als Meister der Liturgien.

Gopnik frickelt die konfessionellen Eigenarten auseinander. Man gehört zu Rom und der Papstschar, ohne dem byzantinischen Pomp abhold sein zu müssen. Dies vollzieht sich in der Konsequenz eines Sonderwegs als „Ruthenische Kirche“. Gleichwohl regiert ein Regime der katholischen Aversionen das Feld jugendlicher Bewährung. Die Warhol-Brothers und andere Nachkommen ruthenischer Christen werden von katholischen Iren bandenmäßig angegangen.

Der Biograf führt das Detail aus, um all jenen „Warhol-Verstehern (zu widersprechen), die W. schlicht als katholisch bezeichnen“. So einfach ist es nicht:

„Kein byzantinischer Gläubiger würde sich jemals römisch-katholisch nennen.“

Zumal die verheirateten Priester erzeugen „den Eindruck eines Skandals für die Mehrzahl der amerikanischen Katholiken“. Man kreuzigt sich „verkehrt herum“. Für diese Leute ist das mehr so eine Dracula-Religion, von der Warhol geprägt wurde. Kein Wunder, dass er zuerst erwägt, Priester zu werden.

„Selbst wenn er unter Druck stand, fluchte er nie.“

Übrigens bleibt er Kirchgänger auch noch in der Factory-Ära. Warhol lässt seine Jüngerinnen allein und geht in sich, wenn auch eine lange Zeit nicht mehr als Gläubiger, sondern als Fan sakraler Architektur. Ähnliches erzählt man sich von Bob Dylan aka R.A. Zimmerman aka Shabtai Zisel ben Avraham, der die religiöse Fassung seiner Kindheit als „singender Pilger“ modifiziert und so bei charismatischen Evangelikalen aufschlägt.

Man wird aus Genies selten schlau. Nach dem Attentat findet Warhol vorsichtig zurück zum Katholizismus, kann sich aber zu keiner Frömmigkeit entschließen.