MenuMENU

zurück

2025-01-09 11:27:36, Jamal

Membran des Ostens

Die Erhebung von Dreiundfünfzig erlebt Brecht als Aufstand befehlsgewohnter Studienräte. Nazis, die nicht schwer belastet sind, werden auf dem Bau eingesetzt. Es rekrutiert sich die Arbeiterklasse aus nationalsozialistischen Lehrern und gewesenen Offizieren. Die kriegen Schwerstarbeiterzulage, ihre Kinder sind als Arbeiterkinder privilegiert im Arbeiter- und Bauernstaat. Ein Treppenwitz der Weltgeschichte.

*

Anfang der 1950er Jahre lebt Heiner Müller illegal in Berlin. Am Westen interessieren ihn nur die Filme, in jeder S-Bahnstation gibt es ein Kino. Müller kommt aus der Kleinstadt, da sind „die Ungerechtigkeiten persönlicher". Er dichtet wie der Weise vom Berg: „Ihr lasst euch gern in euren Flüssen treiben / den sommerlichen, wenn der Himmel brennt. / Im Regen fragt ihr: wie lang wird der bleiben / vergessend: es ist Wasser, das ihr kennt."

Berlin raucht noch, die Stadt „wird nie ganz in Ordnung kommen". Halbasiatisch ist sie, eine Membran des Ostens. Eine Insel im Sumpf. Müller genießt seine Entwurzelung. Er erlebt die Erhebung von Dreiundfünfzig als Aufstand befehlsgewohnter Studienräte. Nazis, die nicht schwer belastet sind, werden auf dem Bau eingesetzt. Es rekrutiert sich die Arbeiterklasse aus nationalsozialistischen Lehrern und gewesenen Offizieren. Die kriegen Schwerstarbeiterzulage, ihre Kinder sind als Arbeiterkinder privilegiert im Arbeiter- und Bauernstaat. Ein Treppenwitz der Weltgeschichte. Der Lyriker Müller bewegt sich in einem zwar abgesteckten, doch elastischen Rahmen. Er ist ein Sänger seiner Gesellschaft. Er rechnet ab, manchmal nur mit einer Silbe: „Osterfahrung – Der auszog den Osten zu erobern / Leichthin, wie der Esser das Mahl / Wo ist er? / besiegt / (I)st er. Das Mahl / Hat den Esser besiegt."