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2025-01-16 11:54:06, Jamal

Was zuvor geschah - Clarice Carangaria verliert ihre angolanischen Eltern auf dem Weg nach Europa. Als unbegleitete Minderjährige gelangt sie auf Lampedusa in die Fänge eines Tributpflichtigen in Deodato Gagginis mafiösem Imperium. Clarice geht durch die harte Schule der Feldarbeit. Sie existiert in der Erniedrigung und erfindet da eine Capoeira-Variante. Überbordenden Einfallsreichtum beweist sie, sobald es darum geht, einen Feind zu bekämpfen. Sie strukturiert, ordnet und mathematisiert das Thema, bis endlich das ganze Gebiet so überschaubar wie ein Kinderspielplatz erscheint. Martialische Typen mit Verbrecherstammbäumen bis in die Steinzeit kapitulieren vor Clarices Raum-Zeit-Scharaden. Schließlich lässt sich auch Gaggini Clarices Konzept erklären. Restlos überzeugt, vertraut der Pate der Aufsteigerin sein Wertvollstes an. Fortan bewacht Clarice Deodatos Tochter Beatrice.

*

Es ist nur ein Spiel. Das Spiel heißt Normalität. Mit dem Taxi zum Marktplatz, um angesichts des Budenzaubers einen caffè bei Alfonso am Tresen zu trinken, heimlich entzückt von den verwitterten Visagen greiser Fischer und Bauern, die sich ihr Leben lang mit den Elementen herumgeschlagen - und nicht als Krämer eine ruhige Kugel geschoben haben. Beatrice bedenkt ihre letzte Lektion in schwarzer Magie gestern kurz vor Abbruch des hellen Tages bei Tante Bella. Ihre Tanten und Großtanten rauchen alle noch, während in Beatrices Generation kein Mensch mehr raucht. Die Alten rauchen, legen Patiencen und pendeln. Sie lesen im Kaffeesatz wie eh und je. Sie sind auf eine mit dem Vaterunser synchronisierte Weise wahnsinnig.
Beatrice entfährt ein Laut des Entzückens, als sich Bruno neben ihr aufpflanzt. Der Krieger gestattet sich einen caffè in der Aura seiner Herrin. Bruno schminkt sich zwar, erlaubt aber niemanden, ihn darauf anzusprechen.

Beatrice im Café, bei der Massage, auf dem Laufband, in der Bibliothek, in einem Hörsaal der ehrwürdigen Universität von C., gegründet im Jahr des Herrn 1222. Beatrice studiert Germanistik und genießt ihre Wirkung auf alles, was da kraucht und fleucht. Gern nimmt sie einen Kaffee im Stehen am Tresen einer Bar. Beatrice pflügt Lachs von einem Avocadobett und verlängert einen Tagtraum in der Bar ihres Verweilens - Illycaffé, free WiFi, originelle Backpackerbewertungen und stummgeschalteter Rai Uno auf einem zweiundvierzig Zoll Plasmabildschirm. Sie stellt sich vor, wie der offenbar skandinavische Barista - Beatrice hält ihn für einen Schweden - um sie herumstreicht und ihre Ausstrahlung seine Glut entfacht. Neben ihr saugt eine Frau ihren Smoothie aus einer getunten Schnabeltasse. Beatrice baut die Frau in ihre Geschichte ein. Sie trägt ein Kleid aus erhabener - reliefierte Rankenmotive zeigender - Spitze, mit einem fest vernähten Chiffonüberwurf, der wie ein Schleier kaum aufliegt. Ob Beatrice der Tod einmal so gut angezogen begegnen wird? Das internationale Auftragsmordwesen ist längst eine weibliche Domäne. Verstohlen registriert Beatrice abgewetzte Stellen, geborstene Kanten, gesplitterte Kacheln, den Routinen entgangene Staubinseln; antike Zeichen, die zurückweisen in die Zeit, als in Bars noch geraucht wurde. Beatrice vermeidet jede Auffälligkeit. Clarice erstattet Beatrices Vater täglich Bericht. Beatrice darf nicht den Eindruck einer Saumseligen erwecken. Man erwartet Tatkraft von der designierten Nachfolgerin auf dem Patenthron.

Wenn Beatrice an einer Engstelle (wie einer Kaufhausdrehtür) Männern absichtslos zu nahe kommt, erleben jene etwas, das sie sofort anhebt und zwingt, sich nach Beatrice umzudrehen. Ihr Duft steigt ihnen zu Kopf. Beatrices Antlitz taucht in männlichen Träumen wieder auf.

Nando wanzt an. Beatrice spürt einen Schwächling unter dem Imponierputz des Muskelmännchens alter Schule, und anstatt belustigt zu sein, empfindet sie die durchsickernde Schwäche fast schmerzhaft als Belastung. Die Schwäche weht sie an wie der Veilchenduft eines Inkontinenten. Beatrice kapiert nicht, warum ihr Vater Nando ein Mandat gegeben hat; wieso dieser Niemand aus Crotone im Kabinett der Gaggini-Schießknechte einen namentlich gekennzeichneten Platz einnimmt.
Was für ein Fake von einem Killer, denkt Beatrice mit diskret gerümpfter Nase. Obwohl jung an Jahren, weiß die Tochter des Paten schon, dass Schwäche gefährlicher ist als Stärke; und dass man nicht nur intelligente Freunde braucht, sondern auch intelligente Feinde.