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2025-01-21 12:10:01, Jamal

Schmucke Schilderungen

Englische Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts fanden das Land zwischen den Zwillingsströmen Paraguay und Uruguay in schmucken Schilderungen „eher schön als großartig“. Vermutlich waren sie nie da – im Gegensatz zu dem nordhessischen Reiseschriftsteller Cornelius von Pechstein. Tagelang ritt er über eine Ebene durch mannshohes Gras.

Aus seinen Aufzeichnungen

„Im Frühjahr schießt die Distel mit affenartiger Geschwindigkeit auf fünf Meter. Distelwälder entstehen im Handumdrehen. Der Sommer verbrennt jeden Distelwald zum Stoppelfeld.“

Cornelius beobachtete Rinder in Herden bis zum Horizont. Die Schlachtrösser jener Kavaliere, die in der Pampa ihren Geist aufgegeben hatten, waren als Pampapferde zu der Wildheit ihrer Ahnen zurückgekehrt.

Der einsame Reiter erreichte die erste Pulperia südlich des Río Grande. Die verwitwete Wirtin Larifa und ihr Liebhaber Carlos wunderten sich. Seit Jahren hatte sich kein Gast mehr ins „Gelbe Huhn“ verirrt. Larifa serviert Granadilla-Salat, angemacht mit Ayahuasca-Essig. (Ayahuasca wirkt psycho-aktiv und gilt am Schamanendroge.)

Cornelius halluzinierte dummes Zeug. Er ließ sein Pferd stehen und schwankte durch eine Gegend zwischen Buschland und Sumpf. Ein Schritt trennte manchmal nur wippenden Moorgrund von fester Scholle. Kaimane, Schlangen und Jaguare belebten das Lagunenmilieu. Entlaufene und Geächtete vegetierten an dieser Peripherie. Die Lagunen lockten mit zeitweise zugänglichen Weiden Bauern an. Mitunter trieben merkwürdige Landwirte auch das Vieh anderer Leute in die strotzende Öde. Da trafen sie Ozelotjäger, die kaum weniger scheu waren als ihre Beute.

Cornelius enthusiasmierte die Santa-Cruz-Riesenseerose - eine amerikanische Einzigartigkeit mit dem akademischen Namen Victoria. Die Spanier nannten sie Irupé. Die Rose zählte zu den Wahrzeichen des lateinischen Mesopotamiens.

Eine Rotte Pekari überrannte den Schauplatz. Auf einer Insel stand desolates Vieh. Salz aromatisierte das Ufergras und so auch die Grasfresserinnen. Deren Steaks bedurften keiner weiteren Gewürze. Auf der Stirn gebrandmarkte Hirtinnen lagerten an einem schwachen Feuer. Sie gehörten zu einer Bande Vogelfreier. Spanien schaffte seine Verbrecherinnen in die Kolonien. Die Frauen stammten aus den Gossen von Saragossa, die Feuermale verrieten ihre Herkunft. Erbittert betrachteten sie den frei umherschweifenden Abenteurer in seiner tadellosen Reitmontur. In seinen Aufzeichnungen verlor Cornelius kaum ein Wort über die Verworfenen. Verknappte ihm eine Scheu vor dem Leid den Schreibatem? Wir werden es nie erfahren. Cornelius verschwendete sein Talent an die Beschreibung des „schlammüberzogenen Uferreliefs mit seinem Unterholz aus Luftwurzelbizarrerien und von den Elementen gerupftem Bambus. Das Programm bietet einen erbärmlichen Anblick über Hunderte von Meilen. Bei niedrigem Wasserstand schießt Vegetation durch die Schlammdecke. Steigt das Wasser, dramatisiert sich die insulare Fauna-Migration. Verwildertes Vieh trifft Jaguare und Kaimane auf halbtrockenen Hochpunkten überspülter Landzungen. Bei Hochwasser reißt die Strömung das Ufer in Stücke.“