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2025-04-10 16:23:19, Jamal

Schwindsüchtiger Zahnarzt

Wir wissen alle, was der schwindsüchtige Zahnarzt John Henry Holliday (1851- 1887) sagte, nachdem er bei der Schießerei vor dem OK Mietstall in Tombstone eine „Wells Fargo Stagecoach“ Büchse leergeschoßen hatte und sich angesichts des schießfertigen Strauchdiebs Frank McLaury gleichwohl nicht für erledigt erklärte: “Blaze away, you’re a daisy if you do.”

You’re a daisy if you do.

Das war eine stehende Redewendung des viktorianischen Zeitalters – eine blumige Phrase mit Aufforderungscharakter. Sie koinzidierte nicht mit to be pushing up the daisies im Sinn von die Radieschen von unten betrachten. Aber Holliday gab der Wendung you’re a daisy if you do so scharfsinnig wie geistesgegenwärtig diesen Drall. Konfrontiert mit dem Tod, wurde er poetisch. Holliday überlebte, während Frank McLaury weniger Glück hatte.

A pistol means a shootin’. A shotgun means a buryin’.

Ob sich Doc Holliday je auf sympathetische Kuren eingelassen hat? Der nordhessische Reiseschriftsteller Alfons Blattschneider behauptet, Holliday habe abergläubischen Anwandlungen nachgegeben und sich mit magischen Ritualen der amerikanischen Urbevölkerung befasst. Ich glaube das nicht. Der Southener war zu seiner Zeit der beste Gunslinger des Westens - ein solider Trinker, Spieler und Verführer. Warum sollte sich so einer mit Hokuspokus abgeben. Blattschneider muss ferner widersprochen werden, wenn er die Rede auf Hollidays „Wells Fargo Stagecoach Shotgun“ bringt. Es gab keine Wells Fargo Waffenproduktion. Niederlassungsleiter bewaffneten die Beifahrer ihrer Kutscher so wie die shotgun rider mit dem, was der örtliche Supermarkt hergab. Das Firmeneigentum markierten sie eigentümlich. Es gab noch nicht einmal einen verbindlichen Schriftzug.

Der Wilde Westen, in dem Holliday eine herausragende Rolle spielte, war nicht zuletzt ein Produkt des Sezessionskrieges (1861 – 1865). Die schwersten Verwerfungen der US-amerikanischen Geschichte kosteten mehr als 620.000 Menschen das Leben, ohne die ideologischen Frontstellungen zwischen der Union und den Konföderierten aufzuweichen. Posttraumatische Belastungsstörungen lieferten unbegriffene Phänomene. Der Süden blieb, was er war, auch als Verlierer. Die Unversöhnlichkeit der Standpunkte fand ihre Rodeos in den Stellungen der Pioniere. Holliday zog von Boomtown zu Boomtown; längst hatte er aus seiner Person ein Ziel gemacht. Ab 1877 nutzte er u.a. einen sechsschüssigen Colt Lightning, die erste kommerziell erfolgreiche double action Kurzwaffe. Man nannte die Neuerung self cocker. Vorsichtige Zeitgenossen luden nur fünf Kammern und setzten den Hammer auf den leeren Zylinder.

Holliday führte auch die stärkere Variante 41 Colt Thunderer, a nickel plated shooter, wie es in den Chroniken heißt, gab grundsätzlich aber leichten Waffen den Vorzug, bis hin zu der Remington/Der®inger Taschenpistole. Ihm fehlten die physischen Spielräume. Warum er gegen seine Gewohnheiten in der Silberminenstadt Tombstone eine „Street Howitzer“ (Wyatt Earp) in Anschlag brachte, ist überliefert. Viel genauer als Blattschneider sagt es Coogan Thunderfist in „The secret story of a Texas rough rider“, wenn er von einer abgesägten Schrotflinte spricht, die oft von Sicherheitskräften auf Zügen, Planwagen und Postkutschen getragen wurde. Thunderfist meint, das plumpe Eisen sei dem Meisterschützen an Haffords Kreuzung von Sheriff Virgil Earp, der seinen Bruder Morgan zum Debuty gemacht hatte und in einem anderen Bruder namens Wyatt einen US-Marshal an seiner Seite wusste, in die Hand gedrückt worden. Es habe sich bei dem Gewehr um „billigen belgischen Scheiß“ (Coogan Thunderfist) gehandelt, der mit der Suggestion von englischer Qualitätsarbeit in Amerika eingeführt worden war. Cowboys Knarren mit angelsächsischem Look anzudrehen, war ein Dreh der Lütticher Brüder Émile und Léon Nagant.

Wir wollen nicht vergessen, dass Hollidays Revolverkompetenz von einer überragenden Messerkampftechnik gekrönt wurde. Er hatte ein Faible für soiled doves – verschmutzte Tauben. Doch nur eine Frau gewann sein Herz. Big Nose Kate war eine passionierte Bordsteinschwalbe. Die Ungarin, deren Vater Arzt am Hof von Kaiser Maximilian in Mexiko-Stadt gewesen war, begegnete ihrer großen Liebe in Dodge City, Kansas, wo sie sich im Bordell von Bessie Earp verkaufte. Zu Bessies Schwäger zählten die Gesetzeshüter Wyatt, Virgil und Morgan Earp. Bessie (oder Nellie nach anderen Quellen) war von Wyatt an einen unbedeutenden Bruder abgetreten worden. Kate begleitete Holliday nach Fort Griffin, Texas. Die Sexarbeiterin und der Spieler spürten den Gleichklang der Seelen. Sie erlebten sich als abgerutschte Aristokraten unter Plebejern.

Der Schlachter Ed Bailey zog bei einem Spiel in Fort Griffin einen versteckt getragenen Revolver. Holliday tranchierte ihn, der Mob wollte ihn deshalb lynchen. Kate zündete eine Scheune an und unterbrach so die Hinrichtungsprozession. Sie befreite ihren Geliebten und türmte mit ihm auf geborgten Pferden. Via Deadwood, South Dakota, Las Vegas, Nevada, Cheyenne, Wyoming, Prescott, Arizona, erreichte das Paar Tombstone in Arizona. Dort zog Kate ihren eigenen Betrieb an der Kreuzung Allen/Sixth Street auf und wurde als vermögende Frau 1881 Zeugin des shootout am O.K. Corral. Der Schusswechsel zog Morde an Virgil und Morgan nach sich. Das nur am Rand. Holliday war längst zu schwach, um unter Feinden durchzuhalten. Kate begleitete ihn zu den Schwefelquellen von Glenwood Springs, Colorado, wo der geniale Gunner seiner Krankheit erlag. Er starb einen Tod, dem er in zig Kämpfen zu entgehen gehofft hatte. Kate verarmte so weit, dass sie sich als Haushälterin in Precott verdingen musste. Sie wurde steinalt, genauso wie Wyatt.