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2025-05-14 11:32:03, Jamal

„Man kann Bücher nicht erschießen.“ Amos Oz

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Ritter und Räuber - Ein Beispiel für die Bedeutung von Erzählungen. Auf Okinawa wurde eine Kata mit der Legende versehen, sie stamme von einem Schiffbrüchigen, der Mitte des 19. Jahrhunderts in Tomari/Tomari gestrandet sei. Er habe sich auf einem Friedhof eingerichtet und sich auf die schiefe Bahn nächtlicher Überfälle begeben. Um dem Treiben ein Ende zu bereiten, sei die bedeutende Schranze Matsumura Sōkon vom König persönlich losgeschickt worden sein. Jedoch konnte der Ritter den Räuber im Zweikampf nicht überwinden. Fragt mich nicht, warum der Polizeieinsatz so förmlich über die Bühne gegangen sein soll. Gewiss entsprach es keiner ständigen Praxis, Verbrecher:innen die Ehre eines Duells anzutragen. Im Folgenden ergründete der Verlierer das Geheimnis der Überlegenheit als Schüler des Delinquenten. Angeblich hieß der chinesische Experte Chintō. So heißt jedenfalls die Kata. Zu jenen, die sie tradierten, zählen im historischen Präsens Gusukuma Shiroma, Matsumora Kōsaku, Oyadomari Kōkan und eben der von einem Strauchdieb genickte Premiumhäscher.

Heute fragt man sich, warum ein so hoch gestellter Beamte und berühmter Kampfkunstexperte wie Matsumura Sōkon einen solch niedrigen Auftrag direkt vom König bekam. Vermutungen liegen nahe, dass Matsumura Sōkon die Chintō von Matsumora Kōsaku aus Tomari lernte, sie aber Kraft seines Amtes mit einem anderen Ursprung belegte. Die Politik der damaligen Gesellschaft ist heute nicht mehr durchschaubar. Der Eintrag bringt einiges auf den Punkt. Die Deutungshoheit liegt einmal wieder bei dem Autor mit der besten Story. Matsumura Sōkon weiß, wie man Glaubwürdigkeit erntet. Unverfroren tritt er als Loser auf, der seine Position pimpt, indem er den Wissensrahm eines versprengten Haudegens abschöpft. Im weiteren Verlauf gehen Chintōs Gong-fu-Ziselierungen durch die Okinawa-Presse und erfahren die oft besprochene Do-Ki-Transition im Geist einer Abhärtungslogik.    

„Lieber J., danke für deine sinnlichen, wunderschönen Texte und die Offenheit in der Rückmeldung, es hat meine intuitive Richtung des Schreibens bestätigt und es freut mich sehr.“ H.

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„Lieber J., jetzt mag ich dir nochmal kurz schreiben: dein Nachtstück hat so eine Zärtlichkeit und Offenheit, dass mir beim Lesen ganz innig warm wurde und ich in ihrer Begegnung mittendrin war beim Einfühlen. Herz und Haut. 

‚Es war ein Loslassen und es war eine Notwendigkeit.‘ Das schwingt alles zusammen so stimmig für die zwei in dieser Episode, wo das Herz seinen Raum bekommt. Ich nehme sie sehr gerne mit in die Träume. DANKE.“ A.

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„Danke für diese Episode! Das geht sehr tief: ‚Von jemandem, der meine Stille aushält. Der mein Feuer kennt.‘ – ‚Ich brauche jemanden, bei dem ich atmen kann.‘ A.

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„Ich mag diese dialogische Auffaltung, diese zärtliche Klarheit und Dynamik.“ M.

Leuchtspuren der Lust

Malia meditierte im Dōjō, in dem die Echos der Kommandos, Ermahnungen und Ermutigungen für sie in der Luft lagen. Eine andere hätte gewiss nichts vernommen in der Stille mit ihren Staubspiralen in Regenbogenfarben, aber für Malia war der Raum selbst eine Erfahrung. Hier hatte sie das Wesen der Kampfkunst begriffen, Disziplin gelernt, ihren ersten Qi-Flow genossen - und hier hatte sie verstanden, dass ihr Verständnis für eine durchgreifende Entwicklung noch lange nicht ausreichte. Zeit ihres Lebens hatte sie einen Weg gesucht und nun war sie angekommen auf ihrem Weg, den Agravain vorzeichnete. Malia liebte ihren Meister. Die Kombination von Lust und Lernen bewirkte Wunder.

Dies war nicht nur ein Refugium der Ernsthaftigkeit in einer Welt flüchtiger Vergnügungen, vielmehr war das Dōjō ein Hotspot sämtlicher Leidenschaften, die Malia antrieben. Hier hoffte sie eines Tages zu erwachen, um einen esoterischen Begriff ausnahmsweise nicht zu verschmähen. Keinen Zweifel hegte Malia daran, dass Agravain zu den Erwachten zählte. Ab und zu öffnete sich ihr das Universum bereits in einem Wahrnehmungsrausch. Malia kannte schon das Gefühl, das in der Auflösung sämtlicher Grenzen zwischen Lust, Schmerz und Freude entstand und in einem einzigen überwältigenden Gefühl der All-Einheit kulminierte. In einem Augenblick, in dem Zeit und Raum ihre gewohnten Formen verloren, fühlte sich Malia befreit. Ein Gefühl des reinen Seins überkam sie. Auch sie war gesegnet mit Schönheit und zu absoluter Erkenntnis befähigt. Dieses spirituelle Erwachen, erlebt auch als internal hochschießende Feuerlohe, verflüchtigte sich stets rasch. Doch befeuerten die Erinnerungen an solche Illuminationen ein sinnliches Dauerfeuer, das Malia zuverlässig in der Präsenz ihres Meisters empfand. War was die mystische Energie, freigesetzt in einer kosmischen Eruption, von der im Unterricht schon die Rede war? Malia war, als ob ihre körperliche Leidenschaft den Weg freigemacht hätte für eine Einladung, ohne Angst und Zweifel die Unendlichkeit ihrer eigenen Essenz zur Kenntnis zu nehmen.

Trotz allem misstraute sie der hilflosen Metaphorik, mit der sie die Phänomene in den Griff zu bekommen versuchte.

Was Malia verstanden hatte: Dreh- und Angelpunkt der Qi-Kultivierung ist das Mìngmén - Tor und Quelle der ursprünglichen Lebenskraft (Yuan Qi), Sitz des Nieren-Feuers (Shenhuo), Verbindungspunkt von Yin und Yang. Wir reden von einer Stelle zwischen dem 2. und 3. Lendenwirbel; beschrieben in der inneren Alchemie und der daoistischen (heilenden) Sexualität als energetische Pumpe.  

Die körperliche Vereinigung ist in der daoistischen Praxis kein Ziel. Sie ist ein Weg. Eine Kommunion der Energien. Kann man sein Qi bewusst auf den inneren Bahnen zirkulieren lassen, spricht man vom Öffnen des Mikrokosmischen Orbits. To open your body is the first. Im freien Fluss der Lebenskraft entsteht ein Gefühl von Wärme, Klarheit, oft auch von subtiler Lust. Einschlägige Erlebnisse stellen sich zunächst zufällig ein. Es geht darum, sie willkürlich herbeiführen zu können.

Die daoistische Praxis beginnt oft mit der Erfahrbarkeit des unteren Dantian, dem energetischen Zentrum im Unterbauch. Atemübungen und Meditation heben das Qi und lassen es entlang des Orbits zirkulieren.  In transformatorischen Prozessen generiert die Harmonisierung der internalen Force Zustände, die das Sagbare übersteigen.

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„Lass dein Qi entlang der Wirbelsäule aufsteigen. Du führst es vom Steißbein zur Schädeldecke im Einklang mit deinem Atem.“

Malia spürte, wie ihr Rücken sich von innen erwärmte. Hinter ihr lag ein knallhartes Gōjū-Ryū-Karate-Training. Agarvain beherrschte ein halbes Dutzend Stile. Monoton, wenn nicht monomanisch widmete er sich seinem einzigen Thema mit akademischer Gründlichkeit.

„Und jetzt senke es vom Punkt zwischen deinen Augenbrauen, über deine Kehle, dein Herz, deinen Unterbauch zurück ins Zentrum.“

Es war nicht nur Energie. Es war Lust. Das limbische System, insbesondere die Amygdala, waren aktiv. Malia fühlte sich durchlässig, ihr Becken schien zu schweben.

„Das ist der kontrolliert herbeigeführte Mikrokosmische Orbit“, verkündete Agarvain. „Er verbindet Himmel und Erde in dir. Yin und Yang. Geist und Körper. Und wenn du ihn kennst, kannst du ihn teilen.“

Er legte eine Hand auf ihren Rücken in Höhe des Herzens. Seine andere Hand ruhte auf ihrem Unterbauch, dort, wo das innere Feuer brannte.

„Willst du ihn mit mir teilen?“, fragte er. 

Malia nickte. Meister und Schülerin begannen synchron zu atmen und Qi zu tauschen. Nicht in der körperlichen Vereinigung, sondern im Energiestrom – in einer ekstatischen Verbindung, ohne äußeres Tun.

Erotik ist nicht das Gegenteil von Spiritualität, sondern ihr lebendigster Ausdruck.

Der Schamane

Malia trug einen wertvollen Kimono aus Rinzu (綸子) – Damastseide, dessen Bahnen schimmerten und ihre Figur betonten. Ihre Augen funkelten vor Entschlossenheit und Verlangen. Mit einer Mischung aus vertrauter Scheu und neuem Mut nahm sie Agravains markantes Wesen in sich auf. Sie konnte sich an ihm nicht sattsehen. Seine komprimierte Kraft erregte sie.  

Malia ließ ihre Hände über das massive Rumpfrelief gleiten. Bis zum Wahnsinn reizte sie die Vorstellung, von einem Mann geliebt zu werden, der in ursprünglicheren Gesellschaften zweifellos als Schamane verehrt worden wäre und auch noch unter Seinesgleichen eine herausgehobene Stellung eingenommen hätte. Malia suchte das erotische Vergnügen im noblen Rahmen - und was konnte nobler sein als jene Kampfkunstgemeinschaft, die Agravain wie ein Leuchtturm überragte. Ihr war, als hätte es vor ihm für sie nie einen anderen Mann gegeben. Sein Dasein annullierte die Halbherzigkeiten, mit denen sich seine Vorgänger über die Runden gerettet hatten. Ihre Zunge erforschte den Weltraum der eigenen Lust. Im Hochofen des Augenblicks erfüllte sich ihre Sehnsucht.

Heilige Halle

Malia spürte seinen Atem im Nacken, obwohl Agravain sich längst weiterbewegt hatte - mit der Effizienz eines Luftzugs in dem von Licht gefluteten, holzgetäfelten Dōjō, dass erst seit wenigen Tagen Schauplatz gemeinsamer Exerzitien war. Malia befand sich in Agravains persönlichem Dōjō. Bis zu ihrer letzten Prüfung war es Malia noch nicht einmal gestattet gewesen, Agravain in der heiligen Halle bei seinen Übungen zuzusehen. Ihre Initiation schritt voran - sie selbst kam nicht umhin, Fortschritte zu erkennen. Trust the process.  

Während sie gemeinsam Feinheiten einer Form nachspürten, erlebte Malia jede korrigierende Berührung ihres als Versprechen. Agravains magische Performance ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie fühlte sich vollkommen - verliebt und geliebt.

Zu einer anderen Stunde

„Ich kann nicht länger so tun, als sei mein Herz still. Ich dachte, ich könnte wieder nur deine Schülerin sein. Ich kann aber von dir nichts lernen, ohne dich zu begehren.“

Malia lag zusammengerollt in seinen Armen. Er hielt sie zärtlich.

„Du bist vollkommen aufgegangen in mir.“

„Und ich will nie wieder etwas anderes. Sag, dass ich für dich alles bin.“

Agravain berührte ihre Stirn mit seiner. Malia lächelte, aufgeladen von seiner Superpower. Sie küsste seine Brust da, wo sein Herz schlug.  

„Sag was du willst, Malia.“

„Dich“, flüsterte sie, zitternd vor Lust. „Genauso wie du mich willst.“