Poetische Navigation
Für Ploog ist Schreiben ein Verfahren der Unmittelbarkeit. Er formuliert eine Poetik, die das Subjekt als transitive Position begreift. Die Sprache ist nicht Ausdruck, sondern Erfahrungswiderhall. Ploog schließt auf zu Deleuze/Guattari, die vom „rhizomatischen Schreiben“ sprechen - ohne Zentrum, ohne Anfang, vernetzt, verschachtelt, prozessual.
Das Rhizom ist eine Metapher aus der Botanik. Wurzelsysteme, die nicht hierarchisch wachsen, sondern in viele Richtungen gleichzeitig.
Wolfgang Rüger, David Ploog, „Ploog, West End“, Westend Verlag, 347 Seiten, 25,00 €
Ploogs Jetstreamsprache folgt keiner linearen Syntax, sondern simuliert Frequenzwechsel, akustische Verzerrung, Funkverkehr. Der Autor destabilisiert normative Realitätsmodelle. Es entsteht eine Literatur, die sich aus globalisierten Informationsströmen speist und deren Bedeutung nicht fixiert, sondern moduliert wird - wie in einem semiotischen Cockpit.
Die Texte verarbeiten technoide Sphären, aber sie romantisieren sie nicht. Vielmehr zeigen sie, wie maschinelle und körperliche Systeme aufeinander einwirken. Ploogs Werk verbindet das poetologische Denken der Beat-Generation mit kybernetischen und medientheoretischen Perspektiven. Seine Flugprotokolle sind Vorgriffe auf eine Literatur, die in Echtzeit navigiert und deren Terrain die Schnittstelle zwischen Mensch & Maschine ist.
Im Maschinenraum der Wahrnehmung
Für William S. Burroughs ist Sprache ein Kontrollsystem, das ‚Programme‘ in menschliches Denken einschreibt. Die Virus-Metapher bringt zum Ausdruck, dass Sprache sich wie ein schädlicher Code durchsetzt. Gerade deshalb sei der literarische Eingriff notwendig, um diese Programme zu stören.
“Words are still the principal instruments of control.“ William S. Burroughs, “The Electronic Revolution”, 1970
Jürgen Ploog ist, so sagt er es selbst, kein passionierter Pilot. Ihn interessiert das Fliegen als ästhetische Praxis - als Zugang zu neuen Formen der Wahrnehmung - zu Avantgarde-Formaten des Denkens und Schreibens. In seinem Werk verwandelt sich das Cockpit in ein neuronales Studio, der Flug in ein driftendes Sensorium. Im Maschinenraum der Wahrnehmung operiert Ploog mit Sprache, als wäre sie ein Steuerungsimpuls: taktil, auditiv, kognitiv dissonant.
Ploogs Texte überschreiten das lineare Konzept. Sie speisen sich aus Funkverkehr und kybernetischer Kodierung. Der Autor schreibt nicht über Kommunikation, er funkt. In Cut-ups, Montagen und dichten Signaltexten verflüssigt sich das Subjekt. Das Ich ist nicht Ursprung der Erfahrung, sondern ein Durchlauferhitzer von Signalen - durchströmt von Bildern, Reizen, sprachlichen Fragmenten. Der Text produziert einen Zustand - einen vibrierenden Resonanzraum.
Wie bei William S. Burroughs ist für Ploog Sprache ein Virus. Schreiben bedeutet, die Oberfläche des vermeintlich Realen aufbrechen, Systeme neu verschalten, Spuren legen. So wird der Text zur Versuchsanordnung. Wahrnehmung ist kein gegebenes Feld mehr, sondern ein sich permanent rekonfigurierendes System. Als Sensor in einem elektromagnetischen Netz aus Bedeutung und Begehren ist der Pilot zuerst Operator.
Ploog experimentiert mit einem Schreiben, das sich vom Körper löst und trotzdem körperlich bleibt. Seine Protagonisten sind Funkwesen, nomadische Scanner, Grenzgänger zwischen Sprache und Sound. Der Autor entwirft eine Poetologie, die das Schreiben als eine Form der Navigation durch fragmentierte Wirklichkeit versteht - eine Bewegung durchs Medienrauschen und durch synthetische Räume.
Im Maschinenraum der Wahrnehmung kollabieren Außen und Innen, Maschine und Körper, Wahrnehmung und Text. Ploogs Literatur ist dabei nichts weniger als ein Versuch, den postmodernen Menschen neu zu verkabeln - jenseits der linearen Sprache, jenseits der Ich-Illusion. Was bleibt, ist ein literarisches Echolot: tastend, suchend, funkend.
Im Textfeld/Semantische Sabotage
„Ein Text ist ein Flughafen: keine Heimat, sondern ein Ort der Bewegung, Durchsage, Ankunft und Störung.“
Die Metapher, ich kann das Zitat leider nicht zuordnen, entspricht einer poetologischen Figur aus den Arsenalen von Roland Barthes und Paul Virilio. Sie spiegelt ein Verständnis von Text, das mit Bewegung, Unterbrechung, technischer Vermittlung und flüchtiger Präsenz operiert - ein Textbegriff, der weniger auf Verankerung als auf Verkehr ausgerichtet ist.
Ploogs Texte sind durchzogen von Funkverkehr, Schnittflächen, Übergängen, von einem Schreiben im Transit. Der Flughafen als Ort des ständigen Kommens und Gehens - Signale, Stimmen, Kontrollmechanismen und Unwägbarkeiten - bietet sich als Chiffre an. Auch Barthes’ Idee vom Text als Feld, als Ort ohne Zentrum, passt, ebenso wie Marc Augés Konzept der „Nicht-Orte“, die dem urbanen und technologischen Raum der Spätmoderne entsprechen. Der Flughafentext ist ein Ort der der Interferenzen und des fragmentierten Austauschs.
Das Cockpit ist für Ploog ein Interface. Das Fliegen variiert das Schreiben und erzeugt eine einzigartige Topografie im Strom der Signale. In Cola-Hinterland (1969) beginnt diese singuläre Bewegung. Der Roman ist mehr als bloße Technikübernahme, wenn auch beeinflusst von William S. Burroughs und Brion Gysin und deren Cut-up-Innovationen. Ploog transformiert das Verfahren in eine deutschsprachige Poetologie der Zersetzung von Syntax, Logik, Identität.
Die semantische Besetzung des Denkraums
In seiner literarischen und theoretischen Auseinandersetzung mit Burroughs begreift auch Ploog Sprache als Kontrollsystem. Er schreibt sinngemäß, dass Sprache eine Operationsbasis gesellschaftlicher Kontrolle sei - ein Instrument, das nicht nur Informationen transportiert, sondern zugleich Identität, Verhalten und Wahrnehmung programmiert. Er bezieht sich auch auf McLuhan und Ballard und erkennt in der Sprache eine semantische Besetzung des Denkraums.
Der Virus-Gedanke bei Burroughs - Sprache als sich selbst replizierendes, infektiöses System – erscheint bei Ploog transformiert, aber verwandt: Er denkt Sprache als implantierte Struktur, als Schnittstelle zwischen Körper und System. Seine Anwendung der Cut-up-Technik (auch visuell und auditiv erweitert) ist also ebenfalls ein Akt der Störung - eine semantische Sabotage, die die Linearität und Codierung aufbrechen soll.
Worte infiltrieren. Sie geben sich als Gedächtnis aus. Sie erzeugen, was erinnert wird. Sie sind der Kode.