Konspiration der Körper
Er hatte sich für mich ein paar Erkennungsmelodien zurechtgelegt. Tonfälle. Stimmlagen. Da wusste ich dann, das gilt mir. Das gehörte uns beiden. Die Fortsetzung des intimen Gesprächs in der Öffentlichkeit, obwohl wir noch gar keine private Sphäre im handelsüblichen Sinn hatten. Cole erfasste mich mit dem Radar seiner Intuition. Wo bei mir der erotische Hase im Pfeffer lag? Ich wusste das damals selbst noch nicht. Ich war mir einigermaßen fremd. Meine sexuellen Erfahrungen waren blass, mit einem Stich ins Trostlose. Ich war verriegelt und wusste es nicht. Ich war ja auch noch jung genug, um eine Zukunft zu haben. Es musste noch nicht alles da sein. Ich war nicht frustriert, sondern neugierig, verliebt, geblendet, affiziert und darauf bedacht, mir mein Entree in Academia nicht zu versauen. Cole wollte sich nicht an die Leine legen lassen. Ich bin mir sicher, dass er zwar besser über sich Bescheid wusste als ich über mich, aber nicht viel mehr Praxis hatte.
Wir existierten beide im Halbschatten unserer Unsicherheiten, spielten Rollen, die uns mal schützten und mal einengten. In diesem Schwebezustand entstand zwischen uns eine einzigartige Verbindung - ein Mix aus intellektueller Verführung und einer schleichenden Annäherung an eine Welt, die noch jenseits unserer Worte lag.
Da war sehr schnell eine aufregende Vertrautheit. Wir kamen wissenschaftlich gut miteinander klar. Wir waren beide schnell im Kopf. Das akademische Gespräch brach tagsüber kaum je ab. Zugleich hielten wir eine erotische Spannung. Das war so berauschend. Wir hörten Jazz in Coles Büro. Das Fenster stand halb offen, goldenes Nachmittagslicht floss in den halbdunklen Raum, um zu versickern. Ein weicher Groove setzte ein - etwas von Paul Desmond, mit dieser lässigen Westcoast-Schieflage, wie ein Nachmittag in L.A., den niemand verplant hat. Cole drehte sich zur Anlage, spielte mit den Reglern. Dann wandte er sich mir zu, zog mich an sich, ein doppelt promoviertes Schmidtchen Schleicher mit den elastischen Beinen … verspielte Saxophonläufe …
Unser Spiel hatte Regeln. Gerade darin lag ein Reiz. Wir verklausulierten nicht, weil wir mussten, sondern weil wir konnten. Wir sprachen nicht von der Glut, wir schrieben um sie herum, so kunstvoll, dass sie zwischen jedem Satz Funken schlug. Die Worte waren unser Terrain, das Doppeldeutige unser Tanzboden. Wo andere plump benannten, betteten wir Sehnsucht in Syntax, Begehren in Betonung, Lust in ein Lächeln hinter der Alliteration.
Du sagtest „Kollaboration“, ich hörte „Konspiration der Körper“.
Du sagtest „Text“, ich las „Tastatur, die bebt unter deinen Fingern“.
Du sagtest „verboten“, und in mir blühte alles auf.
Ein gelungener Mann
„Worte infiltrieren. Sie geben sich als Gedächtnis aus. Aber sie erzeugen, was erinnert wird. Sie sind der Code - und der Code hat ein Ziel.“ Sinngemäß Jürgen Ploog
Cornelius ist ein Mann der passenden Geste. Korrekt, geschmackvoll, leer. Er weiß, dass man mit Durchsetzungsvermögen und tadelloser Kleidung fast alles kaschieren kann. Es ist ein Mitspielen auf hohem Niveau. Seine Mutter nennt ihn einen „gelungenen Mann“, sein Vater findet ihn „verlässlich“. Nana hält ihn für „unlesbar“.
In der Welt von Nana und Cornelius ist vieles möglich. Ein Wochenende in Venedig, ein Workshop für japanische Holzschnittkunst im Engadin, ein Olivenöl-Seminar in einem ligurischen Bergdorf. Aber nichts hält vor. Stets fehlt das Erlösende.
Der Hunger bleibt.
Cornelius betritt jeden Raum, als gehörte er ihm. Er schrammt über die Höflichkeitsleiste manchmal sogar Richtung Hohn. In Gesprächen nickt er gewöhnlich an den richtigen Stellen, stellt gelegentlich eine Frage, die Interesse suggeriert. Er ist ein Meister darin, Anteilnahme zu simulieren.
Nana weiß das. Sie hat es früh bemerkt und lange geglaubt, dass sich Gefühlstiefe nachreichen ließe. Dass man erst lernen müsse, einander gerecht zu werden. Heute weiß sie es besser. Sie behilft sich mit einem verlängerten Wochenende in den Dolomiten. Einem neuen Fahrrad. Der Annahme einer Einladung zum Abendessen in einer Galerie. Kunst und Kulinarik selbstverständlich auf höchstem Niveau. Nana erlebt das alles als Ablenkung. In diesen Tagen sitzt sie oft zu lange auf der Terrasse des Stadthauses, in das Cornelius so viel ‚Sorgfalt‘ gesteckt hat. Alles in diesem Haus stimmt. Material – Linien - Farben. Die Kissen auf den Stühlen aus Cortenstahl (Stichwort: Erosionsschick) sind aus ungefärbtem Leinen, die Gläser haben den sanften Schimmer von mundgeblasenem Muranoglas.
Cornelius steckt tief in seiner Arbeit auf einem anderen Kontinent. Nana hält sich an ihren Gartenfreund. Er ist Cornelius‘ Landschaftsarchitekt, ein Bretone namens Gauvain. Ja, er heißt so wie ein Ritter der Artussage und so wie der bretonische Liebhaber jener - nach George Sand benannten - George in Benoîte Groults Salz auf unserer Haut. Der Körper lügt nicht. Nicht in der Hinwendung, nicht in der Abwendung. Nana spürt sich selbst in Gauvains Gegenwart. In seinen Armen hört sie auf, sich zu kontrollieren.
Als er das erste Mal auftauchte, trug er einen Pullover, den Nana als Zumutung empfand. So stand er da, barfuß auf dem Rasen, sprach von Bodenverdichtung, den Gefühlen historischer Rosen und davon, dass Gärten Räume sind, die gegen die Zeit gebaut werden.