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2025-10-03 06:57:12, Jamal

„Lieber Jamal, ich danke Dir, daß Du gekommen bist. Deine Beiträge waren eine große und intelligente Bereicherung für die Tagung (am25.09. 2025 im Goethe-Uni-Archiv, Dantestr. 9) . Wenn es mir gelingen sollte, einen Verlag für den von mir angedachten Materialienband über Ploog zu finden, mußt Du unbedingt dabei sein.“ Wolfgang Rüger

„Lieber Jamal, vielen Dank für Deine beiden Texte, die das Beste sind, was ich bisher über Ploog gelesen habe. Wir hatten ja gleich ein paar wohlwollende Kritiken auf diversen Internetplattformen, aber das war doch alles sehr bescheiden. Auf das Buch ist praktisch bisher keiner wirklich eingegangen. Und was Jürgen wirklich wollte, haben außer Dir nur ganz wenige verstanden.“ Wolfgang Rüger

Wolfgang Rüger und ich auf der Ploog-Tagung in Frankfurt am 25.09. 2025

Präkognition

 

In einer nahezu vollständig analogen Welt halluzinierte Jürgen Ploog künstliche neuronale Netzwerke und selbst-optimierende Systeme - etwas, das damals so unvorstellbar wie eine menschliche Marsbesiedlung war.

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Ploog war ein Zaungast der Gegenwart, der die Zukunft schon literarisch bewohnte.

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Die Welt der 1980er Jahre war analog, taktil, vernetzt nur via Kabel und Relais. Leistungsstarke Rechner waren raumgroße Maschinen. In dieser Realität schrieb Ploog Texte, die nicht nur Frequenzwechsel, akustische Verzerrung und Funkverkehr simulierten, sondern auch Ströme, Muster und Möglichkeiten einer digitalen Globalität, die noch gar nicht existierte - und doch waren diese narrativen Vorstöße weit mehr als experimentelle Spielereien. Sie waren Visionen einer Zukunft, die unsere Gegenwart ist.

Präkognitiv erfasste Ploog künstliche neuronale Netzwerke. Der Autor antizipierte narrativ die Dynamik von Signal, Vernetzung und Selbstorganisation im Deep Learning-Modus. Seine Prosa überstieg - von seinen Zeitgenossen unbemerkt - die vertrauten Wahrnehmungs- und Denkmodelle. Sie öffnete Räume für sensorische, körperliche und imaginative Erfahrungen, die erst Jahrzehnte später empirisch nachvollziehbar wurden.

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Anfang der 1980er Jahre war die Rechnersphäre extrem privilegiert. Nur Universitäten, Forschungseinrichtungen und das Militär verfügten über die gigantischen Maschinen, die für Datenverarbeitung, Netzwerkexperimente oder Echtzeitkommunikation nötig waren. Nicht vernetzte Personalcomputer waren nicht mehr als leistungsstarke Schreibmaschinen. E-Mail ermöglichte den schnellsten Nachrichtentransfer, den man sich vorstellen konnte - allerdings nur innerhalb exklusiver Netzwerke.

Der erste Personal Computer, der in die Massenproduktion ging, war der IBM Personal Computer 5150. Er wurde am 12. August 1981 vorgestellt.   

Das unstete Gewebe der Wirklichkeit

Die Wirklichkeit ist ein unstetes Gewebe, das sich durch Überlagerungen, Sprünge und Brüche auszeichnet. Ploog transformiert diese Erkenntnis in literarisches Handwerk.

Cut-up simuliert die Welt - nicht als Abbild, sondern als aktiven Prozess des Neuordnens. Diese Formulierung fasst die epistemologische Stärke der Methode zusammen. Die Realität wird zum Spielfeld von Fragmenten, Zufall und Ordnung.

Inmitten der poetischen Cyberpunk-Simulation wird die Leerstelle des deutschen Undergrounds sichtbar. Ploog erinnert an die späte Geburt einer Gegenkultur, die im deutschsprachigen Raum nicht als organisches Phänomen, sondern als mythologischer Import verstanden wurde. Während in den USA die Beat- und Psychedelic-Bewegungen bereits institutionalisiert und kommerzialisiert waren, diente in Deutschland der „Underground" noch als rebellische Projektionsfläche - eine diskursive Transferverzögerung im transatlantischen Kulturverkehr.

Ploog ist der kybernetische Chronist im „Zeitloch", der mit seinen „Cut-up-Delirien" nicht nur Sprache zersetzt, sondern auch die starre deutsche Nachkriegskultur sprengt, indem er in technomedialen Erregungsräumen neue Formen subjektiver Elektrisierung entwirft.