Spiritualität als Werkzeug der Effizienz in traditionellen Kampfkünsten
In der modernen Wahrnehmung gelten Kampfsportarten wie Kickboxen oder MMA oft als rein physische Disziplinen. Kraft, Technik, Geschwindigkeit und Strategie entscheiden über Erfolg oder Misserfolg. Historische Kampfkünste, insbesondere solche aus Indien, China oder Japan, erscheinen im Vergleich spirituell, ritualisiert und fast philosophisch. Auf den ersten Blick könnte man meinen, diese spirituellen Elemente seien dekorativ und überflüssig - doch eine genauere Betrachtung zeigt, dass Spiritualität in traditionellen Kampfkünsten kein Selbstzweck war, sondern ein Werkzeug der Effizienz.
In Zeiten, in denen Kämpfe über Leben und Tod entschieden, war geistige Klarheit überlebenswichtig. Meditation, Atemübungen und innere Visualisierungstechniken schulten den Geist, Angst zu kontrollieren, die Konzentration zu halten und in kritischen Momenten handlungsfähig zu bleiben. Ein Krieger, dessen Geist durch Ablenkung oder Panik blockiert war, konnte physisch noch so stark sein - er überlebte den Kampf nicht. Die spirituelle Dimension half, Körper und Energie zu koordinieren. Nichts wirkt isoliert. Systeme wie Kalaripayattu trainieren Bewegungen entlang der Marmas, punktueller Vitalpunkte, die nur im Zusammenspiel mit Atmung, Fokus und Bewegung ihre volle Wirkung entfalten. Chinesische Kampfkünstler nutzen Qi-Flüsse entlang der Meridiane, um Kraft, Präzision und innere Stabilität zu optimieren. Wer energetische Strukturen versteht, bewegt sich effizienter, schneller, kontrollierter. Auf diese Weise wird die spirituelle Praxis direkt zur physischen Fähigkeit und zur Waffe. Zudem förderte Spiritualität mentale Resilienz und strategische Intuition. Rituale, philosophische Prinzipien und ethische Leitlinien schärften Wahrnehmung, Timing und Entscheidungsfähigkeit. In den Jahrhunderten vor dem Maschinenzeitalter lernte ein Krieger, den eigenen Impulsen zu widerstehen, das richtige Maß an Aggression einzusetzen und den Gegner zu lesen - Fähigkeiten, die ohne die spirituelle Komponente deutlich weniger zuverlässig entwickelt worden wären.
Geistige Disziplin steigerte die körperliche Effizienz, und physisches Training unterstützte die spirituelle Entwicklung. Die moderne Abspaltung der körperlichen Dimension von der geistigen entfernt sich von der historischen Essenz der Kampfkünste, in denen jeder Atemzug zugleich strategisch, energetisch und spirituell auf Meisterschaft ausgerichtet war.
Spiritualität war nie Luxus. Sie war das effizienteste Werkzeug, das ein Krieger besitzen konnte.
Ein oft übersehener Aspekt ist der Respekt vor den Ahnen und der Tradition. Jede Generation baut auf den Erfahrungen und Entdeckungen der Vorherigen auf. Rituale, kodifizierte Abläufe und überlieferte Bewegungen transportieren Erfahrungswissen. Wer diesen Pfad ehrt, spart Zeit, Energie und Lebenserfahrung. Wer ihn ignoriert, wiederholt die Fehler der Vergangenheit und stößt schnell an die Grenzen individueller Entwicklung. Kein Mensch kann alles allein entdecken oder erfinden. Jeder hat nur ein begrenztes Maß an Zeit, Kraft und Einsicht.
Unser moderner Horizont ist oft zu vertikal, um die in der Horizontalen entstandenen biomechanischen Prinzipien intuitiv zu erfassen. Unser Denken verfängt sich in den Vorgaben des aufrechten Gangs. Sie sind statisch, linear, dualistisch, kontrahierend.
Traditionelle Effizienz
Sumo wirkt oft einfach. Bei näherer Betrachtung offenbart sich ein System von unglaublicher Präzision, subtiler Intelligenz und tiefem Verständnis von Körper, Kraft und Resonanz. Das Geheimnis liegt in Mass in Motion - der Fähigkeit, die gegnerische Kraft in ihrer Totalität (also nicht portioniert) aufzunehmen. Sumotori modulieren ihren Körper zur Ganzkörpersohle, in der viele Funktionen der Kraftaufnahme und Kraftlenkung unterworfen sind. Wenn zwei Kämpfer kollidieren, verschmelzen Energie, Masse, Balance und Timing zu einem dynamischen System. Die Sumotori „verinnerlichen“ die gegnerische Kraft, leiten sie entlang der vertikalen Achse ihres Körpers, amplifizieren und speichern sie in ihrem eigenen Betriebssystem.
Die horizontale kinetische Kette - Evolution, Energie und Qi
Die kinetische Kette beschreibt die kontinuierliche Weitergabe von Kräften (zumal Bodenreaktionskräften/ground reaction forces) in miteinander verbundenen Segmenten des Körpers - Knochen, Gelenke, Muskeln, Sehnen und Faszien. Diese Kette existiert immer; sie kann nicht physisch unterbrochen werden. Allerdings variiert ihre Effizienz dramatisch je nach Orientierung, Gelenkstellung und muskulärer Koordination.
Vertikale vs. horizontale Kette
Vertikale Bewegungen belasten Gelenke stark gegen die Schwerkraft. Muskeln arbeiten isometrisch zur Stabilisierung, Gelenke sind unter Druck, und Faszien können Energie nur eingeschränkt speichern. Dies führt zu Friktion und Energieverlust. In horizontalen Bewegungen hingegen sind Gelenke frei drehbar, Muskeln kontrahieren sequenziell, und Faszienketten übertragen die Energie in einer wellenförmigen Bewegung. Die kinetische Kette arbeitet hier maximal effizient, die Energie wird absorbiert, übertragen, amplifiziert und gespeichert – ideale Bedingungen für Fajin oder die Wahrnehmung von Qi.
Die Welle als evolutionäres Prinzip
Die horizontale Kette basiert auf einer uralten, evolutionär konservierten Bewegung - Spinal Wave. Schon bei Urfischen und frühen Tetrapoden erzeugten Flossenschlag und Wirbelsäulenwellen Vortrieb und Energieübertragung. Schlangen nutzen diese Wellenbewegung über die gesamte Körperlänge. Menschen haben das Prinzip übernommen. Hüfte, Wirbelsäule, Schulter und Arm bilden eine Welle, die Energie effizient bis zur distalen Extremität überträgt. Die horizontale Achse stellt das Betriebssystem dar, auf dem der Körper über Millionen Jahre optimiert wurde.
Qi als biomechanisches Korrelat
Was traditionell als Qi wahrgenommen wird, entspricht biomechanisch der kontinuierlichen, wellenförmigen Energieübertragung entlang der kinetischen Kette. Faszien speichern elastische Energie, Muskeln kontrahieren sequenziell, Gelenke leiten Kraft weiter – die horizontale Kette ermöglicht die spürbare, fließende Energie, die in vertikalen Bewegungen stark reduziert ist.
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Die horizontale kinetische Kette ist die evolutionär geprägte Grundlage für maximale Energieübertragung im menschlichen Körper. Die Welle, die Kraft und Energie über Millionen Jahre durch Flossenschlag, Wirbelsäule und menschliche Faszien leitet, bildet die Basis für Fajin und Qi-Erleben. Die horizontale Achse ist die natürliche Software des Körpers für energetische Entfaltung.
Warum der Speer so früh entstand
Wie erklärst du dir, dass wir so früh zum Speer kamen und so spät zu Pfeil und Bogen? Und warum konnte die Bogentechnologie so lange schon existieren, bevor sie nach Europa kam?
Der Speer ist eine der ältesten Waffen der Menschheit - über 400.000 Jahre alt. Er ist simpel. Du brauchst nur ein gerades Stück Holz, Feuer oder Steinwerkzeug. Der Speer nutzt menschliche Muskelkraft direkt. Die physikalische Idee lässt sich intuitiv erfassen. Frühmenschen wie Homo heidelbergensis hatten bereits gute motorische Kontrolle, aber noch begrenzte feinmechanische Fähigkeiten und keine hochentwickelten Verbundmaterialien (wie Sehnen, Kleber, Schnüre).
Warum Pfeil und Bogen so viel später kamen
Der Bogen ist eine komplexe Maschine. Er erfordert Verständnis von Energiespeicherung und -übertragung. Du brauchst elastisches, aber starkes Holz (z. B. Eibe). Du brauchst Schnüre oder Sehnen, die stark genug sind und nicht reißen (Tiersehnen, Pflanzenfasern). Du brauchst kleine, gerade Pfeilschäfte, Federn zum Stabilisieren, und oft Klebstoffe (z. B. Birkenpech). Darum taucht der Bogen erst vor etwa 60.000 - 70.000 Jahren in Afrika auf, deutlich später als der Speer.
Warum Pfeil und Bogen so lange existieren konnten, bevor sie nach Europa kamen
Das hängt mit Klima, Jagdstrategien und kulturellem Austausch zusammen. In Afrika und später in Teilen Asiens waren kleinere, flinkere Tiere häufige Jagdbeute. Dafür war der Bogen ideal: leise, leicht, präzise. In Europa während der Eiszeit lebten eher große, zähe Tiere (Mammut, Wisent, Rentier). Da war ein Speer (oder später Wurfspeer / Atlatl) oft effektiver. Es gab zudem geografische und kulturelle Barrieren: Technologien verbreiten sich nicht automatisch, sie müssen auch in ein ökologisches und soziales Umfeld passen. Das erklärt, warum Pfeil und Bogen in Afrika und Asien schon tausende Jahre existierten, bevor sie im europäischen Spätpaläolithikum (ca. 15.000 v. Chr.) aufkamen.
Die Speerschleuder - Ein verlorenes Meisterwerk der menschlichen Biomechanik
Die Speerschleuder ist die erste Distanzwaffe mit mechanischer Energieverstärkung. Der Speer erhält mehr kinetische Energie, als der Arm allein liefern könnte. Der Dart biegt sich beim Beschleunigen (dynamische Biegung), speichert dabei elastische Energie. Nach dem Release laufen Biegewellen rückwärts / vorwärts entlang des Schafts. Der Dart „peitscht" und setzt so zusätzliche Energie in Vorwärtsgeschwindigkeit frei. Das erhöht die Endgeschwindigkeit des Projektils gegenüber einem völlig starren Stab. Man von „whip‑like action" und „flexural waves". Die Leistungsdaten variieren je nach Material, Speergewicht und Wurfstil, aber aus Experimenten mit Repliken gibt es Extremwerte von über 200 Metern Weite und bis zu 180 km/h Geschwindigkeit. Die Speerschleuder war ideal für die Großwildjagd - große Reichweite, hohe Durchschlagskraft. Jedoch sie war schwerer zu beherrschen als ein Bogen, unhandlich und ineffizient bei der Jagd kleiner, schneller Tiere.
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Die Speerschleuder ist nicht nur Hebel + Armkraft. Sie ist eine komplexe biomechanische Maschine, die seitliche Rotation des Rumpfes, Hebelverlängerung des Arms und Peitschenwirkung des Dart-Schafts kombiniert. Ohne unsere Seitlichkeit (laterale Flexion) wäre die Speerschleuder nicht viel besser als ein normaler Wurfspeer. Sie verdient eine besondere Aufmerksamkeit, weil sie ideal mit einer biomechanischen Determination der lateralen Flexion korrespondiert. Der Mensch reagiert auf die biomechanischen Begebenheiten mit einer optimierten Anpassung. Einer Anpassung, die weiter reicht als die schiere Nutzung der Schulter im Zuge der Schulter- und Handfreiheit in der Vertikalen.
Laterale Flexion (Lateral Movement)
Bewegung in der Frontalebene (seitwärts), bei der ein Körperteil oder der Rumpf zur Seite geneigt wird.
Lateralität
Eigenschaft des Organismus, einseitig bevorzugt zu handeln. Rechts- oder Linkshändigkeit. Bezieht sich auf neurologische Kontrolle und Muskelkoordination. Lateralität beeinflusst Bewegungen.
Die Speerschleuder ist ein Zeugnis der engen Kopplung von menschlicher Biomechanik und technologischer Innovation. In einer Zeit, in der der Mensch noch auf rohe Muskelkraft angewiesen war, gelang es unseren Vorfahren, ein Werkzeug zu entwickeln, das die komplexen Bewegungsmuster des Körpers optimal nutzte. Die Effizienz der Speerschleuder verdankt sich nicht allein der Verlängerung des Arms oder der Verwendung eines Hebels; entscheidend ist die Integration der lateralen Flexion des Rumpfes, der Rumpfrotation und der Peitschenwirkung des Dart-Schafts.
Diese Waffe demonstriert ein bemerkenswertes Verständnis der Mehrdimensionalität menschlicher Bewegung. Der Werfer aktiviert nicht nur Schulter, Arm und Hand, sondern koordiniert den gesamten Oberkörper, die Beine und die seitlichen Muskelketten. Die laterale Flexion, die seitliche Neigung des Rumpfes, optimiert die Energieübertragung auf das Projektil und verlängert den effektiven Hebelarm. So wird die kinetische Energie maximiert, ohne dass der Werfer übermäßig große Muskelkraft aufbringen muss. In der Speerschleuder verschmilzt die Körpermechanik mit der physikalischen Dynamik des Darts zu einem integrierten System.
Interessanterweise verschwand diese hochspezialisierte Technologie aus dem europäischen Jagdkonzept, obwohl sie eine präzise auf die menschliche Biomechanik zugeschnittene Lösung bot. An ihre Stelle trat der Pfeil und Bogen, eine mechanisch-energetische Lösung, die zwar Reichweite, Feuerrate und Handhabung vereinfachte, aber in einem fundamentalen Sinne ungenauer auf den menschlichen Körper abgestimmt ist. Der Bogen nutzt primär die elastische Energie des Bogens selbst, nicht die subtile Kopplung zwischen Rumpf, Arm und Projektil. Präzision und Reichweite hängen weniger von der meisterhaften Koordination des gesamten Körpers ab und mehr von Materialqualität und Bogentechnik.
Die Speerschleuder steht daher als ein historisches Beispiel für die Feinabstimmung von Werkzeug, Körper und Umwelt, eine Technologie, die in enger Wechselwirkung mit den Fähigkeiten des Menschen entstand und die Anpassung an die Jagdumgebung auf bemerkenswerte Weise optimierte. Dass sie in Europa verschwand, spricht für die dynamische Natur kultureller Evolution: Werkzeuge werden nicht allein nach Effizienz bewertet, sondern nach Vielseitigkeit, Wartungsaufwand und sozialen Faktoren. Dennoch verdient die Speerschleuder besondere Aufmerksamkeit als ein verlorenes Meisterwerk der biomechanischen Spezialisierung, ein Zeugnis für die Intelligenz und sensorische Feinfühligkeit des Menschen in der Steinzeit.
Überadaption und Regression zur Mitte - Die Speerschleuder
Die Speerschleuder ist eine Hochform der Überadaption. Sie nutzt die gesamte Körperkinematik, die laterale Flexion, die Peitschenwirkung des Schafts. Jeder Aspekt dieser Waffe, von der Hebelverlängerung über die Rumpfrotation bis zur Feinabstimmung der Dartbiegung, maximiert die Effizienz, Reichweite und Präzision im Jagdkontext.
Doch genau diese Spezialisierung bringt eine Verletzlichkeit mit sich. Eine Technologie, die so stark auf ein bestimmtes Szenario angepasst ist, reagiert empfindlich auf Veränderungen der Umwelt, der Beute oder der kulturellen Praxis. In Europa während der Eiszeit etwa war die Beute groß und sperrig; die Speerschleuder war effizient. Als die Jagdstrategien sich wandelten, Wälder dichter wurden und die Beute variabler, zeigte sich, dass eine hochgradig spezialisierte Waffe wie die Speerschleuder weniger flexibel war.
An ihre Stelle trat der Pfeil und Bogen - eine mechanisch-energetische Lösung, die zwar nicht so perfekt auf die menschliche Biomechanik abgestimmt war wie die Speerschleuder, dafür aber robuster, vielseitiger und leichter adaptierbar. Ich spreche von einer Regression zur Mitte - nicht weil der Bogen eine primitive Alternative war, sondern weil eine mittlere Lösung eine größere Anpassungsbreite ermöglicht. Die Speerschleuder repräsentiert die extreme, hochgradig optimierte Nische, der Bogen die flexible, generalisierte Lösung.
Plyometrie, Spinal Wave und die Emergenz fluid-elastischer Intelligenz
Im Zentrum moderner Bewegungswissenschaft steht zunehmend das Verständnis des Körpers als dynamisches, selbst-organisierendes System. Jenseits rein muskulär-mechanischer Modelle gewinnt die Betrachtung elastischer und faszialer Energieübertragung an Bedeutung. Phänomene wie plyometrische Effekte oder die Spinal Wave lassen sich als Manifestationen einer übergeordneten Funktionsweise begreifen, die man als fluid-elastische Intelligenz beschreiben kann: die Fähigkeit biologischer Systeme, Kräfte nicht nur zu erzeugen, sondern sie zu zirkulieren, zu transformieren und resonant zu speichern.
Die biomechanische Grundlage - Der Stretch-Shortening-Cycle
Plyometrische Prozesse beruhen auf dem Stretch-Shortening-Cycle (SSC), also der Sequenz aus exzentrischer Dehnung, kurzer Amortisationsphase und anschließender konzentrischer Kontraktion. Während der Dehnung speichern Sehnen und Faszien elastische Energie, die in der konzentrischen Phase wieder abgegeben wird. Dieser Zyklus erhöht nicht nur die Leistungsfähigkeit der Muskulatur, sondern optimiert die energetische Effizienz des gesamten Bewegungsapparats.
Das Schlüsselprinzip liegt in der Elastizität der Gewebe und der zeitlich präzisen neuromuskulären Steuerung: Wird die gespeicherte Energie innerhalb weniger Millisekunden freigesetzt, addiert sie sich zur aktiv erzeugten Muskelkraft – es entsteht eine resonante Verstärkung der Bewegung.
Spinal Wave - Kontinuierliche Energieübertragung
Während plyometrische Prozesse punktuell-impulsiv wirken, zeigt die Spinal Wave eine kontinuierliche, wellenförmige Ausbreitung von Kräften entlang der Wirbelsäule und des myofaszialen Netzwerks.
Biomechanisch gesehen resultiert diese Wellenbewegung aus sequenziellen Spannungs- und Entlastungsmustern, die durch fein abgestimmte Segmentkoordination entstehen. Die Wirbelsäule fungiert hier nicht als starre Stütze, sondern als elastischer Wellenleiter, der die Transformation lokaler Impulse in globale Bewegung erlaubt.
Vom mechanischen zum fluid-elastischen Paradigma
Beide Phänomene - Plyometrie und Spinal Wave - verdeutlichen einen Paradigmenwechsel:
Weg von der Vorstellung des Körpers als Summe von Hebeln und Gelenken, hin zu einem kontinuierlichen Spannungsfeld, das nach den Prinzipien der Viskoelastizität, Tensegrität und Fluiddynamik funktioniert.
Die klassische Mechanik erklärt Bewegung mit Kraftübertragung entlang starrer Strukturen. In lebenden Systemen jedoch sind diese Strukturen deformierbar und adaptiv. Jede Bewegung ist das Resultat von Spannungsausgleich innerhalb eines fließenden Kontinuums - einer Architektur aus Zug, Druck, Flüssigkeitsverschiebung und elastischer Rückfederung. Dieses Zusammenspiel bildet die Grundlage fluid-elastischer Intelligenz: eine emergente Fähigkeit des Körpers, mechanische Energie zu absorbieren, zu modulieren und in funktionale Bewegung zu transformieren, ohne die strukturelle Integrität zu verlieren.
Neurophysiologische Integration
Die Entwicklung fluid-elastischer Intelligenz impliziert eine Neuorganisation der motorischen Kontrolle. Im Nervensystem verschiebt sich der Fokus von top-down-Steuerung (bewusste Muskelaktivierung) zu bottom-up-Selbstorganisation (sensorische Kopplung, Reflexintegration, Faszienpropriozeption). Die spinalen Reflexbögen, Golgi-Sehnenorgane und Muskelspindeln agieren nicht isoliert, sondern als vernetztes System, das Schwingungen synchronisiert und Energieflüsse harmonisiert. Diese Form der Koordination erzeugt nicht nur Effizienz, sondern auch kinästhetische Kohärenz - der Körper „denkt".
Somatic Memory
Erinnerung ist kein Privileg des Geistes. Die Haut erinnert sich. Sie ist Archiv und Alarmsystem zugleich - eine Membran zwischen dem, was war, und dem, was wird. Wer nur mit dem Kopf erinnert, lebt in einem reduzierten Selbst. Denn auch Muskeln, Organe, Knochen – sie alle tragen Wissen. Das Tier in uns schläft nicht. Es ruht im Fleisch.
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Wer erinnert sich – wenn nicht ein Ich? Und doch sagst du: Die Haut erinnert sich.
Das widerspricht dem Alltagsverständnis von „Erinnern" als bewusstem, kognitiven Akt. Gleichzeitig erweitert es das Ich. Du nutzt „Erinnerung" metaphorisch, aber nicht nur - sondern auch körperlich real, im Sinne von: Muskelgedächtnis, epigenetische Prägung, autonome Reaktionen, Traumata und Reflexe, atavistische Überlebensmuster. Das Ich ist in diesem Sinne nicht nur ein kognitives Subjekt, sondern ein verkörperlichtes Selbst.
Die Haut „erinnert sich" an UV-Strahlung zellular, biochemisch, molekular (epigenetisch). Sie reagiert nicht erst beim dritten Sonnenbrand, sondern lernt, speichert, reagiert sofort autonom. Und zwar ohne Rücksprache mit deinem bewussten Ich. Das bedeutet: „Erinnerung" muss nicht kognitiv sein. Es gibt körperliche Formen der Gedächtnisbildung, die nicht mental, sondern zellulär, epigenetisch oder neuronal-körperlich ablaufen. Deine Haut speichert frühere Schäden und passt ihre Reaktionen entsprechend an. Das ist eine Form von „Gedächtnis", die du nicht steuerst. In diesem Sinne kann man tatsächlich sagen: „Die Haut erinnert sich – ohne Ich."
Erinnerung ist nicht auf das Gehirn beschränkt. Auch Bänder, Sehnen, Muskeln und Organe erinnern sich. Sie speichern Belastung, Muster, Schmerz, Nähe. Der Magen weiß, wann etwas nicht stimmt - oft bevor der Kopf es ahnt. Die Körpergeschichte ist älter als das Ich. Und vielleicht ehrlicher.
Optimierte Vereinfachung - Rückbildung als Fortschritt
Wenn wir an Evolution denken, stellen wir uns oft eine lineare Entwicklung von „einfach" zu „komplex" vor: vom Einzeller zum Menschen, vom Kiemenatmer zum Lungenatmer, vom Kriechen zum aufrechten Gang. Dieses Bild ist aber zu simpel. Evolution bedeutet nicht nur den Aufbau neuer Strukturen, sondern ebenso den Verlust von Strukturen, wenn sie nicht mehr nützlich sind. Dieses Prinzip lässt sich als optimierte Vereinfachung beschreiben.
Vereinfachung ist kein Rückschritt
Auf den ersten Blick wirkt es paradox. Warum sollten Tiere Komplexität abbauen? Die Evolution bewertet Strukturen nicht nach ihrem Vorhandensein, sondern nach ihrem Nutzen für das Überleben. Bringt ein Organ keinen funktionalen Vorteil mehr, wird es reduziert. So spart der Organismus Energie, Ressourcen und Entwicklungsaufwand.
Beispiel Schlange
Die Schlange stammt von vierbeinigen Reptilien ab. Im Laufe der Evolution bildeten sich ihre Beine zurück - nicht, weil sie weniger komplex werden sollte, sondern weil das Leben in engen Höhlen oder das lautlose Schlängeln im Gras eine stromlinienförmige Körperform erforderte. Die genetischen Grundlagen für Beine sind noch vorhanden, doch sie sind inaktiv. Ergebnis: Ein hochspezialisierter Körper ohne überflüssige Strukturen.
Weitere Beispiele
Maulwurfsaugen: winzig und reduziert, da in der Dunkelheit überflüssig.
Wale und Delfine: Vorfahren hatten Beine, die im Wasser nutzlos wurden. Heute tragen sie Spuren in Form von Beckenknochen.
Vögel: Zahlreiche Knochen sind verschmolzen oder reduziert, um das Gewicht für den Flug zu minimieren.
In allen Fällen ist das Prinzip dasselbe. Strukturen verschwinden, wenn ihr Fehlen funktionaler ist als ihr Vorhandensein.
Optimierung statt Abbau
Der Begriff „Vereinfachung" täuscht, da er nach Verlust klingt. Tatsächlich handelt es sich um eine Optimierung der Gesamtorganisation. Evolution formt keine Tiere, die „einfacher" oder „komplexer" sind, sondern solche, die angepasster sind. Komplexität ist dabei nur ein Nebeneffekt, kein Ziel.
Das Prinzip in einem Satz
Optimierte Vereinfachung bedeutet, die Evolution verzichtet auf Überflüssiges, um Platz für Spezialisierung und Effizienz zu schaffen.