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2025-12-05 13:09:59, Jamal

Stille Schwimmer

Ende der 1960er Jahre tauchte Jean Genet in Tanger auf. Er gab das Genie im Hotel. Das Personal erschreckte er mit abseitigen Gewohnheiten. Seine Großzügigkeit zeigte Genet Lumpen und Poeten. Er bewirtete Mohamed Choukri, den Paul Bowles entdeckt hatte, und Isaac S. Kiener, der unter Pseudonym rechtsgeschichtliche Abhandlungen veröffentlicht. Eine Welt trennte Isaac von den bombastischen Träumen und dem unüberwindbaren Phlegma der arabischen Asphaltliteraten, die auf Genets Kosten schwadronierten. Er war ein Spross der nach New York abzweigenden Diaspora. Man hatte das Kind auf den Scherben einer Kultur gebettet. Ein ironischer Wellenreiter auf den Schaumkronen des Grauens war der Vater. Bei ihm trug das schlechte Gewissen eines Geretteten die Narrenkappe. Der Sohn drückte sich vor dem Militärdienst, türmte in die Türkei. Im Winter landete er in Istanbul. Isaak erlebte die Stadt im Kriminebel. Er traf einen Engländer, dessen Verstand weitgehend verraucht war. Der T. E. Lawrence-Orient steckte Graham wie eine Krankheit in den Knochen. Die Fallhöhe war schmerzfrei. Isaak und Graham erreichten Tanger gemeinsam. An einem Tag waren sie Schriftsteller, am nächsten gründeten sie eine Band. Sie vergrößerten einen anglo-amerikanischen Hippie-Stamm. Als die Edelabteilung abrückte, schloss sich Graham an. Isaak blieb mit einem Drogenproblem zurück. Genet gab Geld. Der süchtige Jude tröstete sich mit der unvoreingenommenen und eigensinnigen Weltsicht des Marokkaners:

„Ich besitze nichts außer dem Leben“, schreibt Choukri. „Aber immerhin habe ich das Stück Leben, das hinter mir liegt, und dann noch das, was vor mir liegt.“

Ich lernte Issak in der Ernst Thälmann-Schwimmhalle kennen - einen stillen Schwimmer mit behaartem Nacken und kahlem Schädel. Er hielt mich für einen Marokkaner, das interessierte ihn. Wir redeten über die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. (Constitutio Criminalis Carolina/ CCC). Vier Entwürfe und eine Modifikation des letzten Entwurfs (Augsburger Entwurf) gingen dem Inkrafttreten (1532) der ihre Zeit überholenden Strafprozessordnung voraus. (Erst im ausgehenden 16. Jahrhundert wurde das Strafrecht vom Zivilrecht geschieden.) Issak unterstellte dem Gesetzgeber eine Absicht der Eindämmung ungesetzlicher Verfahren. In jedem Fall verminderte die CCC eine Rechtsunsicherheit, die sich aus der Rezeption römischen Rechts ergeben hatte. Unter der Dusche zitierte Isaak freihändig aus dem Sachsenspiegel von 1295, „butet der monzer eynen falschen phenning usz“, im konkreten Vergleich mit dem Haffner Sachsenspiegel von 1295: „Vnd bvtet der mvnszer einen falschen phennige so daz er da mit iht kovffen will.“