Heiner Müller verband den Mercedesstern über Berlin mit dem herausgehauenen Zahngold der Ermordeten. Die Geschichte findet statt „zwischen Gewalt und Vergessen.“ „Heimat ist (doch nur), wo die Rechnungen ankommen.“
Holger Müller verband Stalin mit Schmidt. Er predigte „Kein Mensch, kein Problem“ (J. Stalin) und „Mein Herz gehört dem Kopf“ (A. Schmidt). Er machte seine sozialistischen Schäfchen mit der russischen Spielfigur des „überflüssigen Menschen“ vertraut. Der Überflüssige fällt ins Fach des lamentierenden Selbstmörders. Beispielhaft ist ein von der Provinz verfluchter Lehrer. Auf dem Theater reißt er sich das Hemd auf, nachdem er seine Familie um den Hof gebracht und so ins Unglück gestoßen hat.
Der ewige Mieter Holger erklärte: „Zu einem vollwertigen Bürger befördert erst Eigentum. Kein Eigentum bedeutet Ausschluss und Ausschuss.“
So ging Dialektik zu der Zeit als meine Generation Kassel hinter sich zu lassen begann. Iris enttäuschte den politischen Wegweiser (Juso Meister) und Ex-Liebhaber, indem sie ihn vermied, wenn sie Heimatluft schnupperte.
Heimat war (noch), wo die Rechnungen von den Eltern bezahlt wurden.
Zum ersten Mal erlebte ich Holger gekränkt und laborierend. Iris diagnostizierte von oben herab Maladies de relais. Angeblich waren das Krankheiten, die einen weiterbrachten.
Ich fragte nach Beispielen. Iris winkte ab. Ich war zugelassen im neuen Kreis um Yves Morand. Für Yves ging es stets um die Gattung und den Erdkreis im Sternenfeuer. Das war sein Fieber. Er hielt sich für hellsichtiger als andere; für einen Vorläufer der Wirklichkeit.
Yves beschrieb sich als Seher. Ich sah in ihm einen Tropf mit Stammbaum, der in einer Öde Welttheater machen wollte.
Yves reihte perlende Befunde auf eine Kette seiner Huldigungen, er wollte gefallen und bestechen, während Iris Erlesenes nur vor Publikum beisteuerte. Anders gesagt, Yves begann Iris schon vor der Hochzeit zu langweilen, und so will ich auch nicht verhehlen, dass sie wieder und wieder zu mir kam, um sich zu wiederholen. Wir hatten damit in einem Etagenbett angefangen, auf dem Hohen Dörnberg in unserem Tagungshaus während eines Seminars.
Es beschämte Iris nicht, Yves gegenüber vergesslich und nachlässig zu sein. Manchmal traktierte sie ihn mit verborgener Grobheit, als erwehrte sie sich eines unvermeidlichen Verehrers. Yves verstand nicht, wie er eingesetzt wurde. Er kam aus Paris. Paris passte, und seine Familienheraldik passte auch.
Dann war man verheiratet, doch immer noch in G.
In Erinnerungen erscheinen mir Iris‘ Kombinationen von Adorno und Nico, von „Fun ist ein Stahlbad“ und „Walk On The Wild Side“ abgeschmackt. In der bleiernen Zeit wirkten sie wie Rauschmittel.
Yves‘ Spezialität war das Anschneiden von Typen jenseits der Bürgerlichkeit, aber nicht außerhalb der Gesellschaft. Bolle mit Kutte und Zopf. Mit einem Blick für die Engpässe im Leben anderer Leute. Bolle hatte ein Gespür für Notzuchtgelegenheiten. Er und andere seiner Zeichen waren da, wo Gemeinheit Not tat.
Ihr Habitat waren die Kleingärten. In den alten Kolonien führten sie eine neue Ordnung zu.
…
Kurz bevor sich Martin umbrachte, tappte er im Tross Exzess orientierter Jesusjünger mit, die in den Gärten vor der Höhe hausten. Ab und zu kriegte er einen Rappel, dann kehrte der Heilige Geist bei Martin mit eisernem Besen. Angeführt wurden die Jünger von einem Schrebergartengangster. Frank ging über jede Einladung einen halben Schritt hinaus. Mehr nicht. Seine Devise lautete: Gucken, was geht. Gucken, was kommt. Was so vom Laster fällt. Die Skizzen seiner Freundschaften waren zeitgenössische Zille-Zeichnungen. Sie zeigten die zurückgelehnte Art des gewaltbereiten Gärtners.
Frank nahm Martin auf und aus. Man ahnte eine enttäuschte Bereitschaft zur Kumpanei. Martins unirdisches Wesen ließ keinen Kuhhandel zu. Sein karitativer Hammer suggerierte Unterwürfigkeit. Seine Seligkeit auf allen Wegen schien wahnhaft.
Es gab einen fehlgeschlagenen Versuch der Genossen, Martin zu befreien.