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2019-03-05 06:45:22, Jamal Tuschick

Nachrichten aus dem Bauch der alten SPD - Willy Brandt behauptete am Ende seines Lebens, bloß Egon Bahr zum Freund gehabt zu haben.

Lieber Mörder als Leiche

Mit dem Journalisten als jungem Skeptiker wäre auch der Spion, der aus der Kälte kam, gut besetzt gewesen. Egon Bahr war ein Schattenmann im kalten Krieg - der Garant für die Unantastbarkeit seines Chefs Willy Brandt, dem regierenden Bürgermeister von Berlin. Damals, in den 1960er Jahren, glich die Frontstadt einem Vulkan vor dem Ausbruch. Über den rauchenden Kratern ging Tag und Nacht ein Informations- und Desinformationsgewitter nieder. Es gab mehr Agenten als Gastwirte.

Eingebetteter Medieninhalt

Das erzählte Heinrich Leise in einer Stehgreif-Laudatio im überdachten (und wie ein Wohnzimmer beheizten) Lichthof jener maurischen Festung, mit der er seinem arabischen Hammer ein Denkmal gesetzt hatte. Der Fremdkörper stand auf einer Brache zwischen Hochplattenbauten und der documenta urbana. Mit Heinrich Tochter Iris durchstreifte ich fast täglich die Dönche. Ich gehörte zur Familie, kümmerte mich um die Fahrzeuge, den Transport schwerer Gegenstände und was sonst noch anfiel. Der praktische Nutzen eines jungen Mannes, dessen Vertrauenswürdigkeit außer Frage stand, wurde hochgeschätzt und wie eine tierische Leistung mit Nahrung und Streicheleinheiten entgolten. Heinrichs Frau, die katholische Magarete, fasste den Verehrer ihrer Tochter gern an.

Margarete nahm meine Zurückweisungen schamlos hin. So verdreht ich sie fand, ihr war doch nichts peinlich. Die Leute standen grundsätzlich unter der geborenen Dupont (Kasseler Hugenottenadel), die sich exzellent verheiratet hatte. Heinrich stammte aus dem Göttinger Bürgeradel und hätte das bequeme Leben eines CDU-Provinzgranden führen können. Er hatte sich aber herkunftswidrig und deshalb für mich unplausibel für die SPD entschieden und diente nun Holger Börner als Experte für alles. Bahr war sein Gast. Das hatte sich herumgesprochen. Leises polnische Perle Kiowa schrie um Hilfe. Ich beeilte mich. Am Burgtor geriet ich in ein Handgemenge. Eine Frau schlug mit ihrer Tasche zu, da sie sich von einem resoluten Rentner zurückgedrängt sah. Ein Dutzend Zeitgenossen wollten den „Architekten der Ostverträge“ von Angesicht zu Angesicht erleben, doch nicht alle wollten das mit freundlichen Absichten. Ein Grandseigneur kämpfte sich vor, zückte seine Karte wie bei einem Empfang in Prousts Paris und befahl Kiowa: „Sagen Sie Bahr, dass ich ihn sprechen möchte.“

Der drakonische Auftritt brachte ihn nicht weiter. Der Mann suchte sein Publikum unter den Wartenden. „Der Egon ist ein Lügner“, erklärte er und berief sich auf Klaus Schütz: „Das hat der Klaus auch immer gesagt.“

Ich greife vor.

Willy Brandt behauptete am Ende seines Lebens, bloß Bahr zum Freund gehabt zu haben. Die anderen waren Rivalen und hielten sich für berufener, so wie Herbert Wehner (den das Überleben der stalinistischen Säuberungen im Moskau der 1930er Jahre diskreditierte, und den Bahr einen Verräter nennt) und Helmut Schmidt.

Den Kanzler der Aussöhnung beschrieb Bahr als „einen Glücksfall für Ost und West“. Nahe käme Brandt aber kein Mensch.

Heinrich verwickelte seinen Gast in ein Gespräch über die politischen Aussichten. Gerade war der Schah gestürzt worden. Während Khomeini in Teheran triumphierte, besuchte zum ersten Mal ein hochrangiges Mitglied der chinesischen KP die Vereinigten Staaten. Deng Xiaoping war für Time der Mann des Jahres 1979. Mit seiner Erscheinung auf dem politischen Parkett verband sich die ökonomische und kulturelle Öffnung Chinas. Noch erkannte niemand die globalen Folgen des staatskapitalistischen Coups. Viele Linke fürchteten, dass China seine Fassung verlieren könne.

Er gab noch den maoistischen Terminkalender für Lehrer.

China war ein Sehnsuchtsort nicht nur für Maoisten. Auch André Malraux hatten die politischen Experimente im Reich der Mitte verzaubert.

Ich begriff Malraux als Meister der Fortschreibung und Umwandlung von Mythen. Mit den antiken Stoffen putzte er die kollektiven Erfahrungen einiger Aufstände und packte sie nach seinem eigenen System in die Fächer des kulturellen Gedächtnisses. Unter schwierigsten Bedingungen dachte er über Formulierungen nach. Er raubte Kunst, wilderte in Angkor Wat. Er vermaß die Schauplätze des Indochina Krieges. Er traf John F. Kennedy, den Erben dieses Krieges, auf diplomatischem Parkett.