Berühmt für ihre Hässlichkeit
Anfang der 1970er Jahre erhöht Buch eine Verdichtung. Er zieht nach Friedenau in die Nachbarschaft von Nicolas Born, Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass, Uwe Johnson und Max Frisch. Alle Genannten haben sich zu der Friedenauer Konzentration eingelassen. Buch beschreibt, wie er ein Jahrzehnt zuvor zwischen den Arrivierten als Debütant aufgetaucht und im Verhältnis zu Johnson sogar als Schüler in Erscheinung getreten war. Widerwillig leitete der pommerische Mecklenburger Anfang der 1960er Jahre eine Schreibwerkstatt. Er litt unter dem Verlust seiner Seenplattenheimat. Westberlin war Diaspora.
Hans Christoph Buch, „Tunnel über der Spree“, Erinnerungen und vermischte Prosa, Frankfurter Verlagsanstalt, 252 Seiten, 20,-
Johnson haderte mit dem DDR-Regime, das ihn am Bleiben gehindert hatte. Er saß in der Erinnerungsfalle; genervt von den netzwerkenden Nachwuchskafkatoren, die er unterrichtete und denen er auch privat begegnete, etwa in der für ihre „Hässlichkeit berühmten“ Kiezkneipe Bundeseck.
Johnson interessierte sich für Reichsbahnfahrpläne und Rennradzahnkränze. Er verachtete den ehrgeizigen Somnambulismus angehender Schriftsteller*innen. Seine Ablehnung der Schüler*innen glich allergischen Reaktionen. Vor ihm lag eine schwere Zeit. Er wurde nie warm mit den Proteststudenten und positionierte sich quer zum Zeitgeist. 1967 ließ er die Übernahme seiner an Ulrich Enzensberger untervermieteten Wohnung von Mitgliedern der Kommune I polizeilich beenden. Johnson lebte damals in New York, Günter Grass veranlasste im Namen des Freundes die Wiederverbürgerlichung der Verhältnisse nach den Mietvertragsregelungen.
Buch kommt dem großen Schweiger auch als durchgesetzter Autor nicht nah. Die versuchte Annäherung hat etwas von einer verspäteten Annahme. Grass fällt Buch leichter. Der Nachdenkende und Zurückblickende zitiert Bobrowskis Grass-Charakterisierung:
„Und dieses Gehege von Zähnen.“
Bobrowski ist auch ein Johnson. Ein von Bobrowski lyrisch erinnertes Gut an der Memel ist so groß wie die ganze Mark Brandenburg. Dazu passt Grass‘ weltberühmter Pferdekopf voller Aale – ein Bild der Literatur. Grass wirkt als „Schmuddelkind“ nicht mehr lange. Seine Provokationslust erreicht nicht die kulturrevolutionäre Aufstandsbereitschaft der Außerparlamentarischen Opposition.
Buch erzählt Grass als Schranzenhalter, der jeden angeht, der ihn kritisiert. Zugleich wächst er sich zu einer Vaterfigur der Buch-Generation aus.
Grass war der unangenehme Vater der Achtundsechziger-Schriftsteller
Buch kommt zu Martin Walser und Siegfried Unseld. Beide bemühten sich um den Anfänger. Unseld und Walser werden sich fremd. „Eine neu hinzugekommene Person (treibt) einen Keil in ihre Freundschaft.“
Mich lässt die Sequenz an eine Melancholie von Walser denken:
„Der Mächtigste hat die schönste Frau.“
Buch macht einen Eiertanz um den Namen der Hinzugekommenen, bevor er den rätselhaften Hans Magnus Enzensberger ansteuert. Während Grass aus einem Guss ist, erfindet sich Enzensberger ständig neu. Er ist der Untreue bei Suhrkamp, der einzige Autor, der von dem „Ski- (wahlweise) Schwimmlehrer“ Unseld nicht in Ketten geschlagen werden kann.
„Sein wahres Wesen kennen wir nicht.“ Enzensberger über Brentano
Mit breitschultrigen Auftritten kriegt Unseld, was und wen er will. Er ist ein Sepp Herberger der Literatur. Peter Suhrkamp vergleicht ihn mit „einer Dogge“. Franz Xaver Kroetz schreibt: „Er (sieht) aus wie unser Bodyguard, nicht wie unser Verleger.“
Er macht nicht nur Schriftsteller*innen, sondern zeichnet auch das Profil der bundesrepublikanischen Literatur vor. Geht der Bundespräsident auf Reisen, gehört Unseld zur Entourage.
Buch inspiziert Goethe und Schiller. Er bekennt: „Ich mag Titel, in denen Zahlen vorkommen.“ Er stolpert über Uwe Kolbe und landet bei Christoph Meckel.
„Meckel ist ein Stiller im Lande, eine im Verborgenen wirksame Kraft.“
Interessant finde ich, der deutlich Jüngere, dass ich keine anderen Autor*innen vor Augen habe als Buch, wenn ich zurückdenke. Unter der geschlossenen Decke der alten Bundesrepublik wirkten weniger Protagonist*innen im Literaturbetrieb als es Verteidiger an den Thermopylen gab.