„Was den Vielen nicht gelingt, muss der Eine machen.“ Volker Braun
Im Madrid traf ich Paul Mason. In einer Bar, die als Blase in einem imperialen Salzwasseraquarium eingelassen war, erzählte Mason von dreißigjährigen Vorstandsvorsitzenden, die, so schrieb Mason in seiner Kampfaufforderung „Helle, lichte Zukunft“, „den sozialen Krieg, der seit geraumer Zeit an den Rändern des globalen Systems tobt“, mit einer Agenda der Unversöhnlichkeit auf die Magistralen der Welt tragen. Mason bewunderte das Engagement und begleitete es furios-journalistisch. Er lieferte Bilder, die in den Kinderzimmern zündeten: als Vorlagen für eine Aufstandsästhetik, die so anziehend wirkte, dass links-dissidente Bürgerkrieger*innen sie kopierten.
Da kam der ultimative Jugendstil her.
Die größte Bedrohung erkannte Mason in der „denkenden Maschine“. Sie diente ihm als Antagonistin der Humanität in den Erscheinungen eines oppositionellen Menschenbildes. Ich fand die Wahrnehmung paradox. So wie ich es sah, argumentierte Mason von der Warte eines Hegemons. Er riet zu Marx, und vermutete Zombies unter uns, „Spielzeuge des Zufalls“, weit weg von dem Ideal eines freien Mannes nach Aristoteles.
Vermutlich landete man überall da Plausibilitätstreffer, wo man, ausgehend von einer beschleunigten Evolution, außerindividuelle Wesensveränderungen in der Infosphäre annahm, in der Regie von Luciano Floridi, der Mason als Gewährsperson diente. Floridi betrachtete die Menschheit an ihren Rechnern als „informationelle (lernenden Maschinen ausgelieferte) Organismen“.
Ich lenkte mich mit dem ozeanischen Szenario ab und verlor mich in Ansichten von Seepferdherden, die Algenalmen abweideten.
„Wenn wir Gerechtigkeit erreichen wollen, müssen wir auf dem Weg dahin manche Leute als Feinde betrachten und so behandeln“, verkündete Mason.
Das war der aktivistische Standpunkt. Er wurde weltweit vertreten. Überall träumte man von unversöhnlichen Interventionen und überall erwachten Leute in Albträumen. Sie fanden sich gefangen in Netzen der radikalen Solidarität. Man hatte sie verurteilt, mit der Legitimation der Selbstermächtigung.
Das erfolgte mit Ansage. Ich erinnere an Brainfuck von Sibylle Berg:
„Wir werden sie aufspüren, ihre Schwachstellen herausfinden und ihnen eine Sekunde schenken, die sie nie vergessen werden.“
Die Unversöhnlichen Interventionist*innen verschanzten sich hinter Schildern der Harmlosigkeit in Vereinen und Stiftungen. Das zahlreich schillernde Fußvolk täuschte darüber hinweg, dass es nur wenige Vordenker*innen gab. Die Köpfe konzentrierten sich in Berlin und scharten sich da um einen Redakteur, den wir vom TTT Fredo nannten.
Frederico „Fredo“ Corleone is a fictional character in Mario Puzo‘s novel The Godfather. Fredo is portrayed by American actor John Cazale in the Francis Ford Coppola film adaptation. Wikipedia
Fredo war zu meiner Aufgabe geworden. Er setzte Leute, die jeder kannte, wie Puppen ein. Er war der Puppenspieler. Seine Siege meldeten seine Puppen im Spiegel. Die journalistischen Kompliz*innen simulierten neutrale Berichterstattung. Sie lachten sich ständig ins Fäustchen.
Das war die erste wichtige Einsicht, die zu gewinnen ich in der Lage war:
Diese Leute glaubten nicht an Demokratie. Für sie war der Rechtsstaat ein Witz.
Man wäre Fredo nie auf die Schliche gekommen, wenn er mich nicht zu einer Zeit seiner genossenschaftlichen Überwachung ausgesetzt hätte, als die Methoden noch nicht ausgereift waren und ich die Mechanik wenigstens manchmal beobachten konnte.
Ich werde Ihnen alles erzählen und es wird mir ein Fest sein. Wappnen Sie sich mit Geduld. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.
Fredo versicherte sich gegen das Versagen eines Heers beliebig zusammengerufener Stümper*innen mit den bundesrepublikanischen Freiheitsgarantien.
In Fredos Beletage operierte man mit dem Begriff der Kunstfreiheit. Kunst verdient ihre Sonderstellung, die sie der Politik ebenbürtig und vielleicht sogar überlegen sein lassen kann dem Umstand, dass viele sie geringschätzen und nur wenige sie hervorbringen können.
Dazu in zwei, drei Wochen mehr.
Ich bewegte mich auf einem Grat. Ich war zwanzig Jahre Polizist gewesen. Den Dienst hatte ich quittiert, um Simone von Brentanos Ermittlungsgemeinschaft TTT nicht im Regen stehen zu lassen. Ich rechnete mit dem Großen Bundesverdienstkreuz.
Ich arbeitete allein und traute nur Brentano, und auch ihr nur im Geltungsbereich der Abmachungen. Mit mir gab es keine angesoffene Vertraulichkeit. Um Leute, die sich gern mitteilten, schlug ich einen Bogen. Was ich für mich behalten konnte, verschwieg ich beinah auch mir selbst.
In Fredos Hemisphäre gab es eine fröhliche Konspiration. Die Leute waren mit dem Wind, Abweichler*innen mussten mit drastischen Verschlechterungen und echte Renegat*innen mit dem Tod rechnen. Fredos Gerechtigkeitsideal war die eilige Feme; Hinrichtungen auf den Schwarzen Wegen. Seine Devise lautete: Mit allen Mitteln. Auch für die Propagierung des Programms bediente er sich prominenter Puppen. Er ließ sie in der taz darüber schwadronieren, wie der Feind „richtig zu richten“ sei.
Ich schätze, ein paar Jahre hielt außer mir fast jeder Fredo für unschlagbar. Ich hatte ihn zweimal den Schwanz einziehen und mit rundem Rücken geduckt davonschleichen sehen. Ich wusste, die Nuss ließ sich knacken. Vielleicht nicht von mir, aber dann von seinen eigenen Leuten, für die Fredo jedenfalls nicht zum Risiko werden durfte.
Ich muss Ihnen sagen, ich habe nie an mir gezweifelt. Das Selbstbewusstsein rührt nicht allein von meiner halbgöttlichen Herkunft, über die zu sprechen wir bislang versäumt haben. Nein, meine Bescheidenheit erkennt in dem Gong-fu, das ich in Nanking von einem alten Nachtwächter namens Hieronymus Crane gelernt habe, den Grund der Zuversicht.