Wer spricht, das weiß man nicht mehr
Wieder dauert es Tage, die wie Schlünde sind, in denen alles verschwindet. Das praktische Leben gewinnt keine Relevanz über das Versagen hinaus, in das es uns schleudert. Die Hoffnung, dass wir uns doch noch einmal für die richtigen Dinge interessieren könnten, lässt sich leicht verscheuchen. Sie will gar nicht ernstgenommen werden.
Ich möchte ein schönes Bild sein, zu mir (mehr) fehlt mir gerade die Kraft.
Ich bin müde an diesem Nachmittag im Tiergarten. Wir hatten uns da verabredet, wo das Brandenburger Tor seinen Schatten auf einen Eingang wirft. Da verfehlten wir uns und als wir uns eine halbe Stunde später zusammentelefoniert hatten, war die Angst mit von der Partie, der Zauber könnte gelitten haben und wir wären nun außerhalb der Gnade.
Die Gravitation der Bilder
Ich, du, er, sie ... es ist so viel leichter, sich ein Scherbengericht vorzustellen und auszumalen, als vom Gelingen auszugehen. Tage waren wir nur damit beschäftigt gewesen, einen Ort zu finden, der es mit dem Raum aufnehmen kann, in dem meine Bilder hängen. Die großen Bilder und die kleinen Architekturzeichnungen, das verstehe ich jetzt, schaffen eine Abschirmung. Sie bauen einen Raum auf, in dem mein Körper aufgebahrt ist. Ich liege auf einem Betonsockel, einem brutalen realsozialistischen Guss. Ich wurde umgebracht von dem Verlangen, jeder Zumutung eine erfreuliche Ansicht entgegenzusetzen. Ich bin den Tod des braven Mädchens gestorben und auferstanden von den Toten, aber so, dass ein Leichnam liegenblieb.
Ich, du, er, sie, es ... wir betrachteten uns in einer Charlottenburger Galerie, in einer dieser wohltätigen Stadtkuhlen, von denen man nicht weiß, wie sie sich halten. Warum sie nicht räudig, zerschlagen und ausgeweidet da liegen? So wie die Dinge in den Sommerparks an jedem Montag. Im Grunde sind solche Orte unmöglich und bestehen nur in der Konsequenz umgeleiteter Kräfte.
Es gab Kaffee im Hinterzimmer, einem Speakeasy und Spukhaus, einer Leichenhalle, in der Marynas Mumie mir die Koordinaten ihrer schwebenden Seele durchgab. Eine sinnliche Süddeutsche, wie von Fernando Botero in die Welt gesetzt, verwöhnte uns. Es kam sowieso keiner vorbei, aber die Suggestion war, dass wir ungestört sein würden für die Frist einer weiteren Kollaboration.
Marynas Bilder sind ein Raum und ein Körper, gegen den die Malerin massiv vorgeht. Sie arbeitet mit einem Skalpell und setzt auch Farben angreifend ein. Sie wühlt Löcher in das Material. Die Aggression häutet sie und klärt sie auf. Die Aggression ermittelt die Kosten der Anpassung und der Abweichung.
…
Ich wollte Maryna unter Bäumen sehen. Sie kam aus dem Büro und trug die Handtasche der Entfremdung, dazu ein blaues Kleid, das in Wahrheit eine Geschichte war. Die Geschichte handelte von einem exquisiten Geschöpf, unerreichbar wie die Sterne … in einer Absonderung, die nicht aus dem Geschlecht oder der Herkunft sich ergibt, sondern aus Sternenstaub gemacht ist. Ich verriet Maryna, dass ich nicht größer bin als der Mann im Ohr. Ich bemühte mich, ihre Zweifel zu zerstreuen. Das war natürlich konventionell, reine Ausübung der männlichen Rolle. Die Frau muss betäubt und unter das Laub wie unter Wasser gezogen werden. Dann rettet man sie.
…
Ich wusste nicht, was ich ihm erzählen sollte. Der Vormittag war schwierig gewesen, die künstliche Harmonie an meinem Arbeitsplatz schmolz in der Hitze. Mir wurde schmerzhaft klar, dass ich unbedingt ein Atelier brauche, um weiter atmen zu können – einen Raum für meine Toten. Eine sakrale Sphäre. Jamal kam mir verwirrt vor, ich kannte ihn bis dahin nur aus dem geschlossenen Kreis in der Galerie, wo er frisch und munter wie ein Safariteilnehmer in halblangen Hosen mit seiner und meiner Intuition spielte. Wir waren uns gewogen wie kleine Vögel, die sich, im Gebüsch verborgen, für unsichtbar halten.
Alles ist Mimikry. Ich, du ... wir sind zum Glück übersehene Zweige, die sich zu kringeln beginnen, nachdem der Zoo geschlossen wurde. Und siehe, es sind Raupen, die sich bis eben als Holz aufspielten.
Ich verstand die Unmöglichkeit eines Cafés als Schauplatz unserer ersten Begegnung ohne Abschirmung im Spiegel des Unbehagens. Wir setzten uns auf eine Bank an einen Weiher und ich erzählte von meinem ersten Ausflug zu der verbotenen Stadt – einer sowjetischen Schimäre in Brandenburg. Mein Mann, Jörg und ich hatten uns in einem Wald verlaufen, wir waren schon ein bisschen angefressen von dem Missverhältnis zwischen unseren hochgespannten Erwartungen und der banalen Realität. Da glaubte Daniel, eine Lichtung auszumachen und sah darin ein Vorzeichen der verbotenen Stadt. Ich erkannte bald, dass er ein Aufkommen von Spiersträuchern aus der Entfernung für einen Einfall des Himmels gehalten hatte. In meinen ukrainischen Erinnerungen gedeiht das Rosengewächs stets in der Nähe von Siedlungen. Es erzeugt ein organisches Licht.
Wird fortgesetzt.