Große Schwester
Die Mobilmachung für den Geschlechterkampf begann im Kindergarten. Im Jahr der Kampfsterne war sie zwölf und von einer feministischen Mutter aktivistisch eingenordet. So geht dann auch Constanze, genannt Cotsch, in das Rennen um ein selbstbestimmtes Dasein auf einem Plafond schieren Empowerments. Die große Schwester einer in Niedlichkeit Erstarrten ist die Heldin in Alexa Hennig von Langes Roman „Kampfsterne“, der 1985 spielt und nicht zuletzt aus dem Portfolio der Kritik am weißen Mittelstandsfeminismus geschöpft wurde.
„Kampfsterne“ zählen zu den versteckten Handwaffen (Shuriken) der Ninja. Constanze ist so ein Wurfgeschoss in weiblicher Verhüllung. Nach eigener Angabe ist sie „das Schärfste, was der Planet zurzeit zu bieten hat“.
Die rabiate Cotsch sei trotzdem keine verjüngte Ausgabe ihrer selbst, erklärte Alexa Hennig von Lange im Maschinenhaus der Berliner Kulturbrauerei. Da präsentierte sie ihren neuen Roman in einem inspirierten Gespräch mit Matthias Kalle. Der Journalist bot Alexa Hennig von Lange jede Menge Vorlagen für karnevaleske Einlassungen. Die Autorin hat fünf Kinder von drei Männern.
Alexa Hennig von Lange, „Kampfsterne“, Dumont, 224 Seiten, 20,-
„Es fällt mir schwer, Erwachsenenromane zu schreiben. Ich müsste von mir anfangen und der Gefühlshaushalt einer Fünfundvierzigjährigen ist höchstens betulich.“
Wiederholt brachte Alexa Hennig von Lange ihr Alter ins Spiel. Etwas jünger ist Constanzes Mutter Ulla, eine als Cowboy Jim verkleidete Schönheit und herabgewürdigte Feministin. Im Publikum wurde der Vorwurf lautet, Ulla sei als Romanfigur unglaubwürdig. Ihre Schöpferin bestand auf eine realistische Schilderung. Sie erklärte Ulla aus eigener Anschauung als eine durchaus typische Bundesrepublikanerin im Gatter selbstgewählter Abhängigkeiten. Die Mutter impft ihre Töchter und radikalisiert zumal die empfängliche Constanze weit über dem Niveau der eigenen Möglichkeiten.
Mütterliche Glaubenssätze und ideologische Forderungen
Diese Brüchigkeit erinnert Alexa Hennig von Lange als Menetekel der eigenen Kindheit. Mütterliche „Glaubenssätze und ideologische Forderungen“ hielten der Wirklichkeit nicht stand, verbogen die Bedürfnisse des Nachwuchses und belasteten den Familiengründungswunsch. Mit schwersten Befürchtungen sah die Tochter ihrer Ehe entgegen. Heute weiß sie, dass die Kriegskindheit der Eltern als ignorierte Traumatisierung einer Generation, den Auseinandersetzungen einen unguten Untergrund bot. Man stritt stellvertretend über das Haushaltsgeld. Die häusliche Misere verankerte ein chronisches Unbehagen. Der Krieg ging in den Besenkammern der Siedlungshäuser unerklärt weiter.
Mit kindlicher Hellsichtigkeit (vor dem Horizont eines kollektiven Weltuntergangsphantasmas) sah Alexa Hennig von Lange, „womit die Erwachsenen haderten“, wenn sie bei Bratwurst und Bier auf den Terrassen und in den Gärten zusammenkamen, einander wogen und sich aufgeilten. Wer hat noch ein nennenswertes Liebesleben? Wen machen seine Schulden bald platt? Wer tut nur so, als wüsste er über die Seitensprünge der Gattin nicht Bescheid?
Ist das heute ernsthaft anders? Kalle fragte: „Erfinden wir (der Geschlechterdebatte) neue Fehler?“
Ich habe die Antwort vergessen, nicht aber Alexa Hennig von Langes sehr plausible Erklärung für Ullas Spannungen und Spaltungen. Ulla regrediert. Sie flüchtet in das „Land der Unschuld“ und zwingt auf dem Weg in die eigene Kindheit Constanze in die Rolle ihrer Mutter. Das ist der tiefe Grund für Constanzes Aufbegehren – dass sie nicht Kind sein darf.
Anbei meine Besprechung
Introspektive Volten
„Die Welt ist zu. Aber über mir ist so viel Himmel.“
So empfindet Lexchen, das Nesthäkchen in der Sonderheit eines weiblichen Oskar Matzeraths. Es wächst nicht aus seiner Niedlichkeit. Lexchen bleibt putzig und unbedarft in einer bösen Welt. Lexchens große Schwester Constanze, Cotsch genannt, ist ein Fleisch gewordener Powerriegel und erotischer Magnet. Ein titanischer Rainer trumpft in der Vaterrolle auf und schürt das Begehren der Nachbarinnen mit brachialer Virilität. Seine im Garten aufgehende Frau ist ihm vollkommen unterworfen. An eine Liturgie der Demütigungen geknüpfte körperliche Züchtigungen nimmt Ulla hin, obwohl sie sich als Feministin schildert.
„Ich sehe, wie Papas Hand niedersaust und auf meine kniende Mutter eindrischt.“
Die aus der Ich-Perspektive der Protagonist*innen erzählte, in galoppierenden Wahrnehmungswechseln splitternde Geschichte löst im Fortgang den Widerspruch zwischen Feminismus und Ergebenheit nicht auf. In spiegelverkehrter Anordnung beherrscht Ullas beste Freundin Rita einen schlappen Asthmatiker. Georgs Impotenz ist ein öffentliches Geheimnis. Ritas Versager isst sein Knäckebrot im Dunstkreis des Komposthaufens, um nicht in der Küche zu krümeln.
Rita ist scharf auf Ulla & Rainer. Das sind vor Hitze den Asphalt verflüssigende Einbahnstraßen. Die Menschenfresserin läuft heiß in der Leere bürgerlicher Sicherheit.
Schauplatz der Ereignisse ist eine Siedlung, in der sämtliche Kinder mit den Genieerwartungen ihrer Eltern konfrontiert werden und das Musische wie eine Kirche im Zentrum steht. Der Nachwuchs singt im Chor oder spielt Cello. Die Erwachsenen kommen vermeintlich zwanglos in ihren Gärten zusammen. Alle lavieren zwischen Unzufriedenheit und Niedertracht in synthetischen Anwandlungen.
Wenig wirkt echt im Roman. Constanzes Expressionismus erscheint genauso aus der Luft gegriffen wie die Leidensbereitschaft ihrer Mutter in einer gewalttätigen Ehe, in der es trotzdem guten Sex geben soll. Kaum glaubwürdig ist Ritas von Ranküne bestimmtes Verhältnis zu ihrem devoten Mann und dem rabiaten Rainer.
Der Siedlungsreigen datiert auf den Sommer 1985. Anfang Juli gewinnt Boris Becker zum ersten Mal Wimbledon. Er ist siebzehn und der jüngste Sieger in der Geschichte des Wettbewerbs. Seine Erfolgsgeschichte überstrahlt Helmut Kohls moralische Wende in einer Republik auf dem Rückzug aus Mutlangen und dem Wendland in die Nischen des privaten (Un-)Glücks. Heute steht dem Helden von damals der Untergang ins Gesicht geschrieben. Die Kortisonbeule verrät, dass es gegen Beckers Schmerzen kein Mittel gibt, das ihn nicht zum Junkie macht. Seine frühen Siege in Wimbledon scheinen jetzt viel mehr britisch-deutsches Allgemeingut zu sein als seine. Ein gestürzter Gott kann sich auf nichts berufen.
Alexa Hennig von Langes Personal ist zu klein für so eine dramatische Lebensunwucht. Selbst der Gigant im Ensemble, der Architekt mit einer schönen Gärtnerin als Gattin und interessanten Kindern, verfehlt Beckers Fallhöhe. Der schnelle Puls der Perspektivwechsel erlaubt diverse Lesarten. Man kann sich einer Figur anschließen und ihr und ihrem nachtragenden Blick folgen. Einmal bemerkt Rainer am Straßenrand „ein Mädchen mit unglaublich langen Beinen“, und erlebt so seine Tochter Constanze wie eine Fremde. Er lamentiert im Selbstgespräch. Ein Frauenschläger vermisst Rücksicht. Im Gegenzug macht (der von Rita gescheuchte) Georg eine Rechnung auf, in der er solistisch auf seine Kosten kommt. Die introspektiven Volten heben das Geschehen an. Neben den Durchmarschgesängen übersteuerter Stürmer*innen besteht ein überzeugenderer Text. Er handelt vom Mittelstands(un)glück in einem bundesrepublikanischen Winkel, der nur noch in der Literatur vermessen werden kann.
Alexa Hennig von Lange und Matthias Kalle (DIE ZEIT) im Maschinenhaus der Kulturbrauerei.